“Am 24. Februar 2022 schrieb ich kaum etwas auf”, so Kurkow im Vorwort zu seinem Buch “Tagebuch einer Invasion”. “Vom Geräusch russischer Raketenexplosionen aufgeweckt, stand ich etwa eine Stunde lang am Fenster meiner Wohnung in Kyjiw und schaute auf die leere Straße hinunter, in dem Bewusstsein, dass der Krieg ausgebrochen war, jedoch noch unfähig, diese neue Realität zu akzeptieren.”
Kurkows “Tagebuch einer Invasion” erzählt von seinen Freunden, aber auch von Fremden und ganz allgemein von seiner Wahlheimat, der Ukraine, in die seine Familie aus Leningrad, dem heutigen Sankt Petersburg, zog, als Kurkow zwei Jahre alt war.
Chronik des Krieges
Jedes Kapitel des Tagebuchs ist mit einem Datum versehen, das dem Leser verrät, wann es geschrieben wurde. Ein früher Eintrag vom 29. Dezember 2021 beschreibt zum Beispiel die Veränderung der COVID-Situation mit dem Wechsel der vorherrschenden Variante von Delta zu Omicron. Der Eintrag vom 23. Februar 2022 (der Tag vor der Invasion Russlands) gibt die Ankündigung des russischen Präsidenten Putin wieder, russische Truppen an der ukrainischen Grenze zu stationieren. Zum ersten Mal sei in Kiew eine gewisse Spannung zu spüren, ist dort zu lesen, doch es herrsche noch keine Panik.
Der Eintrag vom 24. Februar, dem Tag des Einmarsches, ist sehr kurz. Kurkow schreibt, das er am Abend zuvor Borschtsch für ein paar Journalisten, die zu Besuch gekommen waren, zubereitet hatte. Und dass er gehofft habe, Putin würde das Essen nicht stören, was er nicht tat. Doch um fünf Uhr morgens kamen die Raketen. “Jetzt befinden wir uns im Krieg mit Russland. Aber die U-Bahn in Kiew fährt wie gehabt und die Cafés haben geöffnet.”
Kurz darauf forderte Kurkow in einem Gespräch mit der DW ein entschiedenes Vorgehen der westlichen Länder gegen die russische Invasion: “Eine klare Reaktion würde Putin zwingen, entweder ganz zu stoppen oder zumindest eine lange Pause von seinen weiteren Aktionen einzulegen. Leider haben wir als Schriftsteller und generell Künstler weniger Einfluss auf die Situation, als unsere Kollegen während des Ersten und Zweiten Weltkrieges. Das geschriebene, gesprochene Wort hat an Gewicht verloren. Das bedeutet aber nicht, dass man schweigen darf.”
Ein in Russland geborener Ukrainer
Andrej Kurkow, geboren am 23. April 1961, ist einer der bekanntesten Autoren und Intellektuellen der Ukraine. Er beherrscht elf Sprachen, schreibt aber hauptsächlich auf Russisch. Kurkow hat 19 Romane verfasst, darunter das international gefeierte Buch “Der Tod und der Pinguin” (1996), “Ukrainische Tagebücher” (2014), das ursprünglich auf Deutsch erschien, und “Graue Bienen” (2020).
“Mit Andrej Kurkows ‘Tagebuch einer Invasion’ wird ein Werk ausgezeichnet, das zugleich als eindringliche Chronik wie als kritische Reflexion einer politischen und zivilisatorischen Katastrophe zu lesen ist”, schreibt die Jury des Geschwister-Scholl-Preises.
In seinem Buch, so die Jury weiter, untersuche Kurkow genau, wie der Krieg das Leben der Menschen verändert habe. “Nicht zuletzt im Nachdenken über die eigene Familiengeschichte führt Kurkow einem zudem die lange Unterdrückungsgeschichte der Ukraine vor Augen, die von zahlreichen Deportationen und Zwangsvertreibungen gekennzeichnet ist und dennoch eine nun bedrohte politische Tradition des Individualismus und der Liberalität hervorgebracht hat, die Freiheit höher bewertet als Sicherheit und ökonomische Stabilität.”
In seinem “Tagebuch einer Invasion” sowie in dessen Vorgänger von 2014, der sich mit den Maidan-Protesten und Putins Annexion der Krim befasst, “beweist Andrej Kurkow ganz im Sinne des Vermächtnisses der Geschwister Scholl ein hohes Maß an intellektueller Unabhängigkeit und moralischem Verantwortungsbewusstsein im Kampf um ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung”, so die Jury.
Der Geschwister-Scholl-Preis
Kurkow wird am 28. November in München mit dem Geschwister-Scholl-Preis geehrt. Der Preis wurde in den 1980er-Jahren von der Stadt München und dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels gestiftet und wird in Erinnerung an die Geschwister Hans und Sophie Scholl verliehen.
Die Scholls waren Mitglieder der “Weißen Rose”, einer 1941 von Studierenden und Lehrenden der Universität München gegründeten Gruppe, die sich gegen die Nazi-Diktatur wandte. Die Mitglieder der “Weißen Rose” verteilten Flugblätter und klebten Plakate mit Slogans wie “Nieder mit Hitler” und “Freiheit” an öffentliche Gebäude, zunächst in München, dann auch in Städten wie Hamburg und Berlin.
Im Februar 1943 verteilten Hans und Sophie Scholl Flugblätter im Hauptgebäude der Universität und wurden verhaftet, als Sophie Scholl dabei erwischt wurde, wie sie einen Stapel Flugblätter von einem Balkon hinunterwarf. Sie wurden zum Tode verurteilt und einige Tage später hingerichtet.
Adaption aus dem Englischen: Paula Rösler
-
Banksy bekennt sich zu Werken in der Ukraine
Banksy bezieht Stellung
Diese Frau im Morgenmantel und mit Lockenwicklern im Haar, die vor der Fassade eines ausgebrannten Hauses scheinbar auf einem Stuhl steht, trotzt dem Krieg: mit Gasmaske und einem Feuerlöscher in der Hand. Am Donnerstagabend (17.11.) zeigte Banksy auf Instagram ein Video, das ihn beim Ausschneiden mehrerer Schablonen und beim Sprühen zeigt. Sein Gesicht ist nicht zu sehen.
-
Banksy bekennt sich zu Werken in der Ukraine
Handstand auf Trümmern in der Ukraine
Auf seinem Instagram-Kanal hatte der mysteriöse Streetart-Künstler bereits am 11.11. Fotos von einem Werk auf einem zerstörten Haus veröffentlicht, die im stark verwüsteten Kiewer Vorort Borodjanka aufgenommen wurden. Das Bild oben zeigt auf der grauen Wand eines kriegszerstörten Hauses ein Mädchen, das auf Trümmern einen Handstand macht.
-
Banksy bekennt sich zu Werken in der Ukraine
Judoka in Kiew
Auf diesem Bild, ebenfalls in Borodjanka entdeckt, wirft ein Kind einen erwachsenen Mann beim Judo zu Boden – offenbar eine Anspielung auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin, der ein begeisterter Judoka ist. “Wir sind stärker als David. Sie sind schwächer als Goliath”, kommentierte das ukrainische Verteidigungsministerium das Werk auf Twitter.
-
Banksy bekennt sich zu Werken in der Ukraine
Tänzerin in Irpin
Auch dieses Werk stammt von Banksy, der wohl anonym in der Ukraine unterwegs war. In sozialen Netzwerken zeigten sich Ukrainerinnen und Ukrainer begeistert. “Vielen Dank, dass Sie Menschen mit Ihrer Arbeit inspirieren und daran erinnern, dass der Krieg nicht vorbei ist und viele Menschen, einschließlich Kinder, für die Freiheit kämpfen”, kommentierte eine Nutzerin bei Instagram.
-
Banksy bekennt sich zu Werken in der Ukraine
The World of Banksy
Banksy ist einer der berühmtesten Streetart-Künstler der Welt. Seine wahre Identität ist nach wie vor ungeklärt, zumindest gibt es keine eindeutige Biografie über ihn. Gemälde oder Zeichnungen auf Papier sind bei ihm selten. Die meisten seiner Bilder sprayt der britische Künstler anonym auf Häuserwände, Mauern und Abbruch-Ruinen. Verkäuflich sind diese Arbeiten nicht.
-
Banksy bekennt sich zu Werken in der Ukraine
Würdigung von Obdachlosen
Dieses Graffiti sollte 2019 auf die Lage von Obdachlosen aufmerksam machen. Zwei fliegende Rentiere scheinen eine Parkbank zu ziehen. Auf einem Video, das Banksy im Internet postete, liegt ein offenbar obdachloser Mann auf der Bank. Fans feierten Banksy für das sozialkritische Kunstwerk.
-
Banksy bekennt sich zu Werken in der Ukraine
Bildzerstörung
Eine Versteigerung bei Sotheby’s sorgte 2019 in London für einen Coup. Nachdem das Gemälde “Das Mädchen mit Luftballon” für 1,2 Millionen Pfund verkauft worden war, begann es plötzlich, sich selbst zu zerstören – allerdings nur zur Hälfte. Ein Schredder war im unteren Teil des Rahmens verborgen. Übrig blieben vom unteren Teil nur Schnipsel. Das Motiv erschien zuerst als Wandgemälde in London.
-
Banksy bekennt sich zu Werken in der Ukraine
Affentheater – Made in Britain
Auch der Brexit und seine Folgen sind häufig ein Thema von Banksy. Das politische Chaos im britischen Parlament konnte er nicht voraussehen. Doch schon 2009 entstand sein Gemälde “Devolved Parliament” auf dieser riesigen Leinwand (2,8 x 4,5 Meter) Das Bild ist am 3. Oktober 2019 in London versteigert worden – für 9,8 Millionen Pfund (rund 11 Mio. Euro).
-
Banksy bekennt sich zu Werken in der Ukraine
Steve Jobs
Ein immer wiederkehrendes Thema seiner Bilderwelten ist der globale Raubtier-Kapitalismus. Dieses Wandbild sprayte Banksy im Eingangsbereich des Flüchtlingslagers in Calais an Frankreichs Ärmelkanal-Küste. Zu sehen ist der verstorbene Apple-Gründer Steve Jobs, im Gepäck seinen legendären ersten Mac-Computer. Der Vater des Apple-Managers stammte aus Syrien – so wie viele Flüchtlinge.
-
Banksy bekennt sich zu Werken in der Ukraine
EU-Missklang
Schon mit dieser Arbeit mischte sich Banksy 2017 in die Brexit-Debatte in Großbritannien ein. Über Nacht tauchte dieses meterhohe Bild an einer Häuserwand unweit des Fährhafens Dover auf: Ein Mann steht auf einer Leiter und versucht mit Hammer und Meißel einen der EU-Sterne zu entfernen. Inzwischen ist das Bild von der Wand verschwunden. Jemand hat es weiß übertüncht.
-
Banksy bekennt sich zu Werken in der Ukraine
Israelisch-palästinensischer Schlagabtausch
Auch den israelisch-palästinensischen Konflikt hat sich der britische Streetart-Künstler vorgenommen. 2017 eröffnete Banksy in Bethlehem direkt an der Sperrmauer ein Hotel, das er mit seiner Kunst ausstattete, Damit wollte er ein “Zeichen des gewaltlosen Widerstandes” setzen. Seit 2005 hat er viele Werke in dem historischen Ort hinterlassen. Es gibt bereits eine “Banksy-Tour” für Touristen.
-
Banksy bekennt sich zu Werken in der Ukraine
Krieg ist kein Kinderspiel
Die Identität von Banksy gibt bis heute Rätsel auf. Bekannt ist nur, dass er aus Bristol stammt. Ende der 1990er-Jahre kam er nach London und begann gezielt an speziellen Orten seine Bild-Botschaften auf die Wände zu sprayen, wie hier 2016 in einer englischen Grundschule in Withchurch.
-
Banksy bekennt sich zu Werken in der Ukraine
Globale Klimakrise
Auf seine künstlerische Art ist Banksy immer schon ein Visionär. Er thematisierte in seinen Wandarbeiten häufig die politischen Probleme der Zukunft, wie hier die Klimaerwärmung. Diese gesprayte Botschaft in London, die allerdings nicht eindeutig Banksy zugeordnet werden konnte, stammt von 2009 – lange bevor US-Präsident Trump diesen Satz in vollem Ernst verkündete.
-
Banksy bekennt sich zu Werken in der Ukraine
Medienkritik
Auch die Verrohung der Medienwelt, die sich sensationsgierig auf Opfer von Kriegen und Terroranschlägen stürzen, prangert Banksy an. Diese Arbeit war 2018 in einer Londoner Galerie ausgestellt und nicht an eine Hauswand gesprayt. Auch sein Gemälde “Devolved Parliament” ist gerahmt und wurde für die Auktion bei Sotheby’s auf einen Schätzwert von 1,8 bis 2 Millionen Euro taxiert.
Autorin/Autor: Heike Mund, Suzanne Cords