Bonn, Ende November, Bericht der Bundesnetzagentur: Deutschlands Mobilfunk-Netzbetreiber Telefonica Deutschland, die Deutsche Telekom und Vodafone hatten sich zwar verpflichtet, bis Ende 2022 in 500 bisherigen weißen Flecken neue Funkstationen zu bauen. Geschehen ist das in gerade einmal 95. Knapp drei Prozent der Fläche Deutschlands steckt immer noch im Funkloch, Gebiete, in denen weder 4G/LTE- noch 5G-Funksignale empfangen werden können.
Lüdenscheid, 2. Dezember: Die Brücke der Autobahn 45 in Nordrhein-Westfalen feiert Jahrestag, sie ist seit 365 Tagen für den gesamten Verkehr gesperrt. Die Schäden an der Brücke sind so schwerwiegend, dass sie auch für PKW nicht wieder freigegeben werden kann. Seitdem wurde die Brücke weder gesprengt noch Aufträge für den Neubau vergeben. Pendler fahren seit zwölf Monaten über Umleitungsstrecken und stehen teils stundenlang im Stau. Bundesweit sind 4000 Brücken in einem kritischen Zustand und müssten zügig saniert werden.
Künstler haben eine Friedensbotschaft auf die gesperrte Autobahnbrücke bei Lüdenscheid gemalt
Twitter-Eintrag vom 4.Dezember: “Die ICEs Hamburg-Berlin sind so überbucht, dass sie 20-30 Min lang nicht abfahren können. Die Züge fahren nur noch im Schritttempo ein, DB-Personal und Menschen ohne Reservierung sollen wieder raus. Erwachsene Menschen verstecken sich auf dem Klo oder blockieren mit Koffern.” Claus Weselsky, Chef der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer, sagt: “Die Eisenbahner und ich schämen uns für das, was wir der Gesellschaft bieten.”
Lehrermangel, Erziehermangel, Pflegemangel
Hohenstein-Ernstthal, Sachsen, 12. Dezember: Weil der Unterricht ständig ausfällt, schreiben verzweifelte Mütter und Väter dem Kultusminister einen Brandbrief. Der Lehrplan an der Sachsenring-Oberschule: Religion wird nicht mehr unterrichtet. Biologie fällt in der achten Klasse aus. In der Sieben gibt es keinen Unterricht mehr in Musik und Gemeinschaftskunde. In nur drei Fächern wird der Unterricht nicht gekürzt. An deutschen Schulen fehlen bis zu 40.000 Lehrer, Sachsen-Anhalt sucht seine Lehrkräfte jetzt per Speeddating. Zur gleichen Zeit wird eine Studie der Bildungsforscher veröffentlicht: Jeder fünfte Grundschüler erreicht nicht die Mindeststandards für Deutsch und Mathematik.
Rheinberg, 13.Dezember: Weil die städtische Kita krankheitsbedingt zwei Tage schließen muss, und das nicht zum ersten Mal, platzt einer Mutter der Kragen. Sie packt ihren Sohn, marschiert zum Stadthaus, um ihren Sohn beim Bürgermeister zur Betreuung abzugeben. Der unterbricht völlig verdutzt einen Termin, um mit der Mutter zu sprechen. Sie berichtet ihm von einer anderen Mutter, die am Vortag ihre lebensnotwendige Chemotherapie nicht machen konnte, weil sie ihren Sohn nicht in die Betreuung bekommen hat. Über 100.000 Erzieherinnen und Erzieher werden in Deutschland gesucht.
Hinweiszettel für Eltern von kranken Kindern in einer Kindertagesstätte in Baden-Württemberg
Anonyme Aussage einer Pflegefachkraft in der ZDF-Sendung Frontal, 13. Dezember, über ihre Schicht in der Notaufnahme: “Ich habe erlebt, dass im Verlauf der Wartezeit, die in den Notaufnahmen mittlerweile bis zu 40 Stunden beträgt, man den Patienten in diesen 40 Stunden kaum mehr zu Gesicht bekommt. Und wenn man dann irgendwann ins Zimmer geht, dann liegen die Patienten da und sind gestorben, obwohl sie nicht hätten sterben müssen.” Auf den Intensivstationen der Krankenhäuser fehlen 50.000 Pflegekräfte.
Kinderkliniken am Limit, Panzer-Desaster, keine Medikamente
Berlin, Hilferuf einer Kinderkrankenschwester, 14. Dezember: “Wir haben einfach kein Personal. In den Jahrzehnten, die ich in der Klinik arbeite, habe ich noch nie so eine hohe Fluktuation in der Pflege und bei den Ärzten erlebt. Wer von uns noch da ist, kraucht auf dem Zahnfleisch, um irgendwie die Versorgung aufrecht zu erhalten.” Wegen Personalmangels können 40 Prozent der Intensivbetten in den Kinderkliniken nicht belegt werden. Erkrankte Kinder aus Berlin mussten teilweise bis ins 200 Kilometer entfernte Rostock verlegt werden.
Berlin, Brandmail von Generalmajor Ruprecht von Butler an den Inspekteur des Heeres nach einer Schießübung, veröffentlicht vom Magazin “Der Spiegel” am 17. Dezember. Von 18 hochmodernen Schützenpanzern Puma sei kein einziger einsatzbereit: “Sie können sich vorstellen, wie die Truppe die Zuverlässigkeit des Systems Puma nun bewertet, die Einsatzbereitschaft des Fahrzeugs wird trotz aller guten Vorbereitungen zum Lotteriespiel.” Vor 20 Jahren hatte die Bundeswehr 350 Exemplare des hochmodernen Schützenpanzers bestellt, zu einem Stückpreis von 7,6 Millionen Euro. Heute kostete das Gerät etwa 17 Millionen und ist immer noch nicht kriegstauglich. Und der Puma ist nicht die einzige Baustelle bei der Bundeswehr: Massive Probleme gab es in der jüngeren Vergangenheit unter anderem auch bei Panzerhaubitzen, Sturmgewehren, Hubschraubern oder U-Booten.
Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht vor einem Puma-Schützenpanzer
Irgendwo in Deutschland, Samstag, 17. Dezember: Ein Kind leidet an Fieber, Halsschmerzen und geröteten Mandeln, in der Bereitschaftspraxis für Kinder erhält die Mutter die Diagnose “Streptokokken A”. Keine der vielen Apotheken, welche die Mutter abtelefoniert, hat das verschriebene Penicillin vorrätig. Der Zustand des Kindes verschlechtert sich von Stunde zu Stunde, die verzweifelte Mutter erhält in einer Online-Sprechstunde das Rezept für ein Ersatzantibiotikum. Doch auch dies ist in keiner Apotheke zu haben. Am Ende erhält sie das Medikament durch eine fremde Mutter, über eine Whatsapp-Gruppe, die eine noch nicht geöffnete Packung zu Hause hat. Sieben Stunden sind in der Zwischenzeit vergangen. Auf der Lieferengpass-Liste des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte sind 330 Medikamente aufgelistet, vor allem Fiebersäfte für Kinder sind in deutschen Apotheken kaum zu bekommen.
Kalte Klassenzimmer, kranke Ärzte, lahme Digitalisierung
Bergisch Gladbach, Sonntag, 18. Dezember. An einer Realschule fällt die Zentralheizung aus. In allen Räumen fällt die Temperatur auf kühle zehn Grad. Tagelang kann kein Unterricht stattfinden. Am Mittwoch ist die Heizung immer noch kaputt, Prüfungen gibt es nur in ein paar wenigen Räumen der Schule, die behelfsweise mit elektrischen Radiatoren beheizt werden müssen. “Kinder dürfen in der Schule nicht frieren”, hatte die amtierende Vorsitze der Kultusministerkonferenz, Karin Prien, bereits im Oktober angemahnt.
Schulunterricht in manchen deutschen Klassenzimmern im Winter
Twitter-Eintrag aus einer deutschen Klinik, Dienstag, 20. Dezember: “Heute bei mir drei Ärzte krank, plus vier medizinische Assistenten, inklusive Schmerztherapie. […] Auf Intensivstation viele krank. Morgen Krisensitzung wegen den Feiertagen. Ich habe die Schnauze voll! Ich mache das nicht mehr mit!” Gerald Gaß, Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft, warnt: “Wir dürften beim Personal mittlerweile bei einem Ausfall von neun bis zehn Prozent liegen, das heißt, fast jeder zehnte Mitarbeiter ist erkrankt.”
Donnerstag, 22.Dezember: Gerd Landsberg vom Deutschen Städte- und Gemeindebund über ein Gesetz, demzufolge eine Online-Beantragung des Führerscheins bis Ende 2022 in Deutschland möglich sein soll, die Kommunen mit der Digitalisierung aber nicht hinterherkommen: “Wir sind eben ein sehr bürokratisches Land mit einer sehr komplizierten Struktur. Wir haben Ausstattungs- und Personalprobleme. Es genügt ja nicht zu sagen, wir wollen alles online machen. Sie müssen die Leute und Systeme schulen.” Beim Digitalisierungsgrad der Behörden belegt Deutschland unter 35 europäischen Ländern nur den 21. Platz.
Energiewende zu langsam, Deutsche Bahn auch
Bonn, Donnerstag, 22. Dezember: Die Bundesnetzagentur warnt davor, Wärmepumpen und E-Autos könnten das Stromnetz bald überlasten. Doch die Wartezeiten für die Installation von Wärmepumpen liegen in Deutschland bei drei bis neun Monaten. Lieferprobleme und Fachkräftemangel behindern auch die Energiewende: Es fehlen 17.000 Bauelektriker.
Donnerstag, 22. Dezember, die Rheinische Post zitiert die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Unionsfraktion zur Deutschen Bahn: “Die aktuelle Pünktlichkeitsentwicklung ist nach Auffassung der Bundesregierung nicht zufriedenstellend”. Nur noch 50 bis 60 Prozent der Fernverkehrszüge rollen demnach wie angekündigt in die Bahnhöfe ein. Die Deutsche Bahn war 2022 so unpünktlich wie nie zuvor.