Steht der Iran vor dem Bau der Atombombe?

Mit großer Sorge beobachten Experten die jüngsten Entwicklungen im Atomstreit mit dem Iran. Die amerikanische Nachrichtenagentur Bloomberg berichtete am Sonntag unter Berufung auf zwei Quellen aus Diplomatenkreisen, dass Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) im Iran Uran mit einem Anreicherungsgrad von 84 Prozent gefunden hätten. Auf 84 Prozent angereichertes Uran ist nicht nur rund 20 Mal höher angereichert als nach der Wiener Atomvereinbarung mit dem Iran von 2015 erlaubt, es liegt auch schon nahe an dem Wert von 90 Prozent, der für den Bau einer Atombombe erforderlich ist.

“Es gibt absolut keine zivilen Zwecke, die es erfordern würden, Uran so hoch anzureichern”, schreibt Mark Fitzpatrick vom International Institute for Strategic Studies (IISS) in Washington, D.C., auf Anfrage der DW. Dass der Iran die Entdeckung zugelassen hat, anstatt die Anreicherung selbst anzukündigen, könnte seiner Meinung nach Teil der Strategie der Hardliner sein, um mehr Druck auf den Westen auszuüben.

“Bevor die Anreicherung von Uran auf 84 Prozent bestätigt ist, können wir noch keine Schlussfolgerungen ziehen. Sollte das zutreffen, wäre die Urananreicherung auf 84 Prozent eine weitere Möglichkeit für den Iran, ein Druckmittel in die Hand zu bekommen, um wieder in den Genuss der Sanktionserleichterungen zu kommen, die die USA 2018 zurückgenommen hatten.” Die Anreicherung auf 84 Prozent, die den Iran in die Lage versetze, noch rascher als bisher den Kern einer Atomwaffe herzustellen, steht laut Fitzpatrick im Einklang mit der “sehr aggressiven Strategie Irans, sich Atomwaffenfähigkeit zu verschaffen.”

Erfolglose Strategie Teherans

Diese Meinung teilt Behrooz Bayat, ehemaliger Berater der IAEA im Gespräch mit der DW: “Es ist durchaus möglich, dass der Iran wieder hochangereichertes Uran als Druckmittel einsetzt”. Er weist darauf hin, dass der Iran bereits im Juni 2021 damit begann, Uran auf 60 Prozent anzureichern. Die internationale Atomvereinbarung von 2015 gestattet dem Iran lediglich eine Urananreicherung von 3,67 Prozent für die zivile Nutzung. Zur Energiegewinnung reicht ein Anreicherungsgrad zwischen drei und fünf Prozent, in der Nuklearmedizin wird auf 20 Prozent angereichertes Uran genutzt.

Atomanlage im Iran

Im Juni 2021 begann der Iran Uran auf 60 Prozent anzureichern.

Der Iran hatte seine Entscheidung zur höheren Anreicherung kurz nach dem Beginn von Verhandlungen mit der neuen US-Regierung von Präsident Joe Biden über eine Rückkehr zum Atomabkommen angekündigt. Der Grund: Die Hardliner in Teheran wollten maximale Zugeständnisse bei den Verhandlungen erreichen. Ein “gutes neues Abkommen” versprach damals der iranischen Chefunterhändler Ali Bagheri Kani in verschiedenen Interviews mit staatlichen Medien im Iran. Sein Plan ging nicht auf.

“Bis jetzt reichert der Iran Uran offiziell auf 60 Prozent an”, sagt der Atomphysiker Bayat. Und fügt hinzu: “Es ist möglich, dass der Iran eine geringe Menge unangekündigt auf den höheren Grad angereichert hat. Ich vermute, dass dahinter die Absicht steht zu demonstrieren: Wir kommen auf 90 Prozent angereichertem Uran näher. Und wenn wir eine Atombombe bauen wollen, sind wir dazu in der Lage.”

Offiziell dementiert der Iran, nach einer Atombombe zu streben oder Uran höher als auf 60 Prozent anzureichern. “Das Vorhandensein von Uranpartikeln über 60 Prozent im Anreicherungsprozess bedeutet nicht eine Anreicherung über 60 Prozent”, sagte der Sprecher der iranischen Atomenergie-Organisation (AEOI), Behrouz Kamalvandi, am Montag gegenüber der staatlichen Nachrichtenagentur IRNA. “In den iranischen Nuklearanlagen wurde niemals Uran über 60 Prozent hinaus angereichert”. Kamalvandi beschuldigt die Nachrichtenagentur Bloomberg, sie würde in ihrem Bericht “die Tatsachen verdrehen”.

Die IAEA-Inspektoren haben dem Bericht der US-Agentur zufolge hochangereicherte Uranpartikel im Röhrensystem gefunden, welches die zur Urananreicherung eingesetzten Zentrifugen miteinander verbindet. Laut Bloomberg sollen die Inspektoren jetzt untersuchen, ob der Iran das Material absichtlich produziert hat oder ob die Konzentration das Ergebnis einer unbeabsichtigten Anhäufung ist. Möglicherweise sei das Material durch technische Probleme beim Betrieb der Zentrifugen entstanden, hieß es unter Berufung auf einen der Diplomaten. So etwas sei in der Vergangenheit bereits vorgekommen.

Der Iran werde mit der IAEA zusammenarbeiten, sagt der Sprecher des iranischen Außenministeriums Nasser Kanaani, bei einer Pressekonferenz am Montag in Teheran. Das sei ein “wichtiges Prinzip” für den Iran. Das Land bekenne sich weiterhin zum Atomwaffensperrvertrag und zu den Vereinbarungen mit der IAEA über besondere Kontrollmaßnahmen, die sogenannten “Safeguards”. Auch wolle Teheran die Gespräche über die Wiederinkraftsetzung des Atomabkommens fortsetzen. “Die harten und einseitigen Sanktionen der Vereinigten Staaten gegen den Iran müssen aufgehoben werden und alle Parteien verantwortungsvoll zu dem Abkommen zurückkehren”, so der iranische Sprecher.

Iran: Wenig Hoffnung auf Ende des Atomstreits