Veszprem 2023 – Der Charme der Provinz am See

Veszprem ist eine der ältesten Städte Ungarns, fast so alt wie der Staat und das Christentum selbst in dem mitteleuropäischen Land. Hier wurde Anfang des 11. Jahrhunderts der erste Bischofssitz gegründet, hier steht die erste Universität, hier wurden die Königinnen Ungarns jahrhundertelang gekrönt. Heute ist die Stadt mit ihren 60.000 Einwohnern von Industrie und Kultur geprägt. Wegen der musikalischen Vielfalt in der Region wurde Veszprem zur UNESCO City of Music ernannt.

“Was ihre Soziografie angeht, gibt es eine sogenannte Schicht der ‘weißen Kragen’ und eine der ‘blauen Kragen’ – viele Ingenieure, die in den zahlreichen Fabriken arbeiten und an der Universität der Stadt studiert haben, und Arbeiter, die in den Fabriken tätig sind”, erzählt der Lokalpatriot und frühere Geschäftsführer des Kulturhauptstadtjahres, Zoltan Meszaros. 

Ungarn Veszprem - Europäische Kulturhauptstadt 2023 / Zoltan Meszaros

Kulturmanager Zoltan Meszaros: “Wir waren die Kleinsten, aber hatten den größten Enthusiasmus!”

Veszprem hatte zwei starke Kontrahenten im Land: Györ und Debrecen. “Es gab eine klare Absicht unsererseits, andererseits war es aber ein Kampf zwischen David und Goliath. Wir waren die Kleinsten, aber hatten den größten Enthusiasmus”, erklärt Meszaros die Gründe des Sieges. Und es gab noch einen weiteren wichtigen Grund: Veszprem bewarb sich samt der umliegenden Region Balaton um den Titel Europäische Kulturhauptstadt.

Das Nordufer des Balatons, der auf Deutsch Plattensee heißt, ist zum Greifen nahe, die Stadt ist ohne die Region nicht vorstellbar: “Ich bezeichne mich sowohl als Einwohner von Balaton als auch von Veszprem. Die Einwohner hier haben oft eine Doppelidentität. Die meisten verbringen die Sommermonate am See, den Rest des Jahres in der Stadt. Diese Nähe ist sowohl ein Segen als auch ein Fluch, weil der See viele Touristen anlockt – sie der Stadt aber wegnimmt”, fügt Meszaros mit einigem Schmunzeln hinzu. 

Er betrachtet es als eine interessante Herausforderung, dass Stadt und Region gemeinsam auftreten: “Mich interessierte, wie Veszprem seine Beziehungen zur Region überdenken und neu knüpfen kann. Das ist eine Aufgabe für die nächsten zehn bis zwanzig Jahre. Der Plattensee hat zum Beispiel ein ökologisches Problem – und dieses Problem lässt sich nicht innerhalb eines Jahres lösen. Wir können aber unsere Besucher darauf aufmerksam machen.”

Sanierung und Nachhaltigkeit

Ein wichtiges Bestreben der Veranstalter ist es, die schon bestehenden Communities der Stadt und der Region miteinander besser zu verknüpfen und Brücken zu bauen. Ein Ziel: Die Abwanderung junger Menschen und Studenten zu stoppen, den Zuzug zu fördern. Die vielen Kulturevents sollen auch auf bestehende Probleme hinweisen und die Region nachhaltig lebenswert machen.

Ungarn Veszprem | Europäische Kulturhauptstadt 2023 - Inota

Inota: Das ehemalige Braunkohlekraftwerk wurde zum Veranstaltungsort für ein Lichtfestival und elektronische Musik

Inota, 26 Kilometer weit von Veszprem. Hier steht ein ehemaliges Braunkohlekraftwerk, dessen Betrieb nach der Wende eingestellt wurde. Die verlassenen Schornsteine werden zum Veranstaltungsort eines Lichtfestivals und der elektronischen und experimentellen Musik. Daniel Besnyö leitet das Projekt: “Das ist das größte noch bestehende industrielle Relikt in Ungarn. Es ist uns wichtig, dass wir die Einwohner erreichen. Das Kraftwerk liegt ihnen am Herzen, weil ihre Eltern oder Großeltern hier gearbeitet haben. Sie haben einen Bezug zum Ort. Wir gehen mit gutem Beispiel voran, indem wir das Gelände wieder mit Leben füllen. Wir wollen das Programm nachhaltig machen und jedes Jahr neu organisieren.”  

Auch das im Jahre 1903 erbaute und heute leerstehende Waisenhaus am Südwestrand Veszprems wird rehabilitiert. 2023 soll es als Kultur- und Freizeitzentrum zu einem neuen kulturellen Treffpunkt werden. Das ActiCity Zentrum bietet perfekte Trainings- und Auftrittsmöglichkeiten für Gruppen, die bis jetzt an mehreren Orten in der Stadt verstreut waren. Klassisches Ballett, Volkstanz, verschiedene Gesellschaftstänze, moderne Bewegungsformen können endlich wirtschaftlich und selbsttragend an einem gemeinsamen Ort agieren.

Ungarn Veszprem | Europäische Kulturhauptstadt 2023 - ActiCity

ActiCity: Das baufällige ehemalige Waisenhaus wurde zu einem Kulturzentrum umfunktioniert

Das Anfang des 19. Jahrhunderts gebaute Ruttner-Haus wurde buchstäblich in letzter Sekunde vor dem Einsturz gerettet. Ein gutes Beispiel dafür, wie eine einst gefährliche, nur noch von Obdachlosen bewohnte Gegend in den Kreislauf der Stadt integriert wird. Das Haus hätte auch ein Luxushotel werden können, die Organisatoren hatten aber eine andere Vision: Sie erfassten die Unterkünfte in der Stadt und fanden nichts Geeignetes für Klassenfahrten. Hier entsteht jetzt ein Hostel für Schulklassen. Vom Hof fährt ein Fahrstuhl bis zum ehemaligen Gefängnis der Burg über der Stadt. Betreiber wurden bereits für beide Gebäude gefunden. 

Ein Papierhund und weitere Highlights

“Nie wieder ein langweiliger Dienstagabend” lautet das Motto des Restaurants “Papirkutya” in der Altstadt. Es füllt eine wichtige Lücke – bisher fehlte ein Ort, an dem man die Gastronomie und die Weine der Region mit interessanten Veranstaltungen kombinieren und bis spät in die Nacht hinein genießen konnte. In der Innenstadt war nicht viel los, sodass die etwa 2000 Studentinnen und Studenten lieber im Campus blieben. Daran werden der “Papierhund”-  in dem jetzt jeden Dienstagabend Konzerte stattfinden – und die zahlreichen neuen Cafés, Bars und Kneipen gewiss etwas ändern. 

Ungarn Veszprem | Europäische Kulturhauptstadt 2023

Papirkutya (Papierhund): Das neue Restaurant lockt mit regionalen Leckerbissen, Weinen und Musik

Die Besucher erwarten etwa 3000 Events. Für genauere Informationen und zur Orientierung steht ein App zur Verfügung. Am 21. Januar 2023 wird das Kulturjahr offiziell mit einem Straßenfest eröffnet, im Februar folgt das Festival für zeitgenössische Literatur. Im April findet ein Bluesfestival statt, im Mai das internationale Tanzfestival. Ein Festival des ungarischen Films ist im Juni geplant, ein Opernfestival im Juli. Im August soll ein Weltmusik-Festival stattfinden, im September das Lichtfest in Inota, im November ein Jazzfestival. Ein gigantisches Abschlussfest soll es nicht geben, dafür aber eine solide Stadtparty. 

Das Kulturhauptstadtjahr wird von der Regierung in Budapest mit 70 Milliarden Forint (rund 175 Millionen Euro) finanziert. Etwa ein Drittel davon ist für das Programm und die Verwaltung vorgesehen, zwei Drittel für Investitionen in die Infrastruktur. 

Ein durchdachtes Konzept, enthusiastische Organisatoren und genügend Geldmittel – das Kulturjahr 2023 rückt die Stadt und die umliegende Region in den Fokus Europas. Veszprem scheint gut gerüstet zu sein.