Fast täglich enthüllen britische Medien neue Details zu den Partys im Amtssitz des britischen Premiermininisters. Der Fernsehsender ITV berichtet, Boris Johnson habe im Juni 2020 in seinem Amtssitz 10 Downing Street in größerer Gesellschaft Geburtstag gefeiert. Private Treffen in Innenräumen waren damals nicht erlaubt, es galten strenge Corona-Beschränkungen.
“Ich kann bestätigen, dass die Metropolitan Police zu einer Reihe von Veranstaltungen im Zusammenhang mit potenziellen Verstößen gegen die Corona-Auflagen ermittelt”, sagte Scotland Yard-Chefin Cressida Dick in einem Ausschuss des Londoner Stadtrats.
Johnson hält Ermittlungen für richtig
Premierminister Johnson hat der Londoner Polizei seine “vollständige Kooperation” bei den Party-Ermittlungen zugesichert. Ein Sprecher der Downing Street sagte, Johnson halte die Ermittlungen der Polizei für “vollkommen richtig”. Diese würden dazu beitragen, der Öffentlichkeit “begrüßenswerte Klarheit” zu verschaffen und “einen Schlussstrich unter diese Geschehnisse zu ziehen”.
Im Oktober 2019 war die Stimmung zwischen dem Premier und der Scotland Yard-Chefin noch gut
Für den seit Wochen wegen Berichten über mutmaßlich illegale Lockdown-Partys in der Kritik stehenden Johnson kommen die neuen Entwicklungen zu einem heiklen Zeitpunkt. Die kritischen Stimmen in seiner konservativen Partei werden immer lauter. In den vergangenen Tagen kamen Vorwürfe wegen Diskriminierung von Muslimen im Regierungsapparat und laschen Vorgehens gegen Betrug bei Corona-Hilfen hinzu.
Vorerst kein Untersuchungsbericht
Einen positiven Nebeneffekt haben die polizeilichen Ermittlungen für Johnson aber: Der in London mit Spannung erwartete interne Untersuchungsbericht zu Lockdown-Partys in der Downing Street wird sich durch die angekündigten polizeilichen Ermittlungen wohl deutlich verzögern. Das bestätigte ein Regierungsmitglied im Unterhaus während einer Aktuellen Stunde zu dem Thema. Eigentlich war in dieser Woche mit der Veröffentlichung des Berichts der Spitzenbeamtin Sue Gray gerechnet worden.
Mehrere Mitglieder seiner eigenen Tory-Fraktion wollen ihn stürzen. Die neuen Enthüllungen dürften Wasser auf ihre Mühlen sein. Insider halten ein Misstrauensvotum inzwischen für unausweichlich. Als Nachfolger bringen sich bereits Außenministerin Liz Truss und Finanzminister Rishi Sunak sowie der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses, Jeremy Hunt, in Stellung.
Die Medien haben den Amtssitz von Premier Boris Johnson bereits im Blick
Bis zu 30 Gäste sollen ITV zufolge bei der angeblichen Feier am Nachmittag des 19. Juni 2020 zu Johnsons 56. Geburtstag dabei gewesen sein, darunter vor allem Mitarbeiter, aber auch die Designerin Lulu Lytle, die damals für viel Geld die Dienstwohnung der Johnsons renovierte – ein weiterer Skandal.
Private Feier in der Johnson-Wohnung
Johnsons heutige Frau Carrie soll dem Bericht zufolge “Happy Birthday” als Geburtstagsständchen angestimmt haben. Neben der Torte soll es auch ein Picknick mit Leckereien einer bekannten Kaufhaus-und Feinkostkette gegeben haben. Später seien mehrere Familienmitglieder zu einer privaten Feier in der Wohnung der Johnsons gewesen.
Eine Regierungssprecherin bestritt den Bericht über die Zusammenkunft nicht, wertete sie aber nicht als Party, sondern als kurzes Treffen von Mitarbeitern im Anschluss an eine Besprechung, um dem Premier zu gratulieren. Johnson sei weniger als zehn Minuten dabei gewesen.
Sprecherin dementiert
Insgesamt habe das Event nur 20 bis 30 Minuten gedauert. Den Bericht über Gäste in der Dienstwohnung wies die Sprecherin als “komplett unwahr” zurück. Johnson habe lediglich eine kleine Gruppe von Familienmitgliedern im Freien empfangen. Die Designerin Lytle ließ wissen, sie habe sich nur zum Arbeiten in der Downing Street aufgehalten und außerhalb des Raums, in dem angeblich gefeiert wurde, auf ein Gespräch mit Johnson gewartet.
Oppositionschef Keir Starmer (Archivbild) von der Labour-Partei forderte den Rücktritt des Premiers
Die Reaktionen in der Presse waren verheerend. Viele Blätter nahmen ein Foto Johnsons mit einer Geburtstagstorte auf die Titelseite. Für Spott sorgte auch, dass Johnson zu Beginn der Pandemie immer wieder betont hatte, man solle sich so lange die Hände waschen, bis man zweimal “Happy Birthday” gesungen habe.
“Er muss gehen”
Oppositionschef Keir Starmer von der Labour-Partei kritisierte die Regierung als “chaotisch und steuerlos” und forderte zum wiederholten Mal Johnsons Rücktritt. “Er muss gehen”, bekräftigte Starmer.
Mit einem freiwilligen Abgang Johnsons wird kaum gerechnet. Gefährlich werden könnte ihm aber der wachsende Unmut in der eigenen Partei. Als Chef der konservativen Tories sieht er sich einer unübersichtlichen Koalition aus verschiedenen Lagern gegenüber. Sollten sich 54 Mitglieder seiner Fraktion im Unterhaus schriftlich für einen Wechsel aussprechen, käme es zu einem Misstrauensvotum.
nob/qu (dpa, afp, rtr)