Angesichts der stetig sinkenden Geburtenrate in Japan plant die Regierung, Paaren bei der Geburt eines Kindes weitere 80.000 Yen (556 Euro) zu zahlen. Ob sich diese Maßnahme angesichts steigender Preise und stagnierender Löhne als erfolgreich erweisen wird, ist allerdings fraglich.
Kritiker weisen darauf hin, dass schon in der Vergangenheit versucht wurde, das demografische Problem mit Geld zu lösen. Auch diesmal sehen sie wenig Aussichten auf Erfolg.
Frisch gebackene Eltern erhalten in Japan eine Einmalzahlung in Höhe von umgerechnet 2900 Euro. Das Ministerium für Gesundheit, Arbeit und Wohlfahrt schlägt vor, diese Summe auf 3450 Euro zu erhöhen. Die neue Prämie soll vom 1. April 2023 an, dem Beginn des kommenden Steuerjahres, ausgezahlt werden.
Wachsende Sorgen
Ausgelöst wurde die Initiative durch die neueste Bevölkerungsstatistik für Japan. Daran lässt sich ablesen, dass in Japan in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr Paare bewusst die Entscheidung getroffen haben, aus finanziellen Gründen erst später zu heiraten und weniger Kinder zu bekommen.
Das führte dazu, dass die Bevölkerung, die im Jahr 2017 noch einen Höchststand von 128 Millionen erreicht hatte, bis zum Jahr Jahr 2021 auf 125,7 Millionen schrumpfte. Laut einer Berechnung des japanischen National Institute of Population and Social Security Research wird die Bevölkerung bis 2065 noch weiter zurückgehen und dann zwischen 82 bis 88 Millionen Menschen liegen.
Diese Zahlen könnten angesichts der durch die Pandemie verursachten Probleme und der Auswirkungen des Ukraine-Konflikts auf die Weltwirtschaft sogar noch recht optimistisch sein. Zahlen des japanischen Gesundheitsministeriums von Mitte September zeigen, dass in den ersten sechs Monaten dieses Jahres nur 384.942 Kinder geboren wurden – ein Rückgang von fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Das Ministerium geht jetzt davon aus, dass die Gesamtzahl der Neugeborenen in diesem Jahr unter der Zahl von 811.604 im vorangegangenen Jahr liegen wird und voraussichtlich die Zahl von 800.000 unterschreiten wird. Seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1899 wurden in Japan noch nie so wenige Kinder geboren.
Hilfreich, aber keine echte Hilfe
“Das Geld von der Regierung war definitiv eine Hilfe, als unser Sohn auf die Welt kam. Wir sind dankbar dafür, aber es reichte trotzdem nicht, um die Krankenhauskosten zu decken”, erzählt Ayako, eine Hausfrau aus Tokio, die ihren Nachnamen nicht nennen will.
Ayako befand sich in einer besonderen Situation, weil sie einen Kaiserschnitt benötigte, doch im Schnitt kostet eine Geburt in Japan umgerechnet um die 3300 Euro, schreibt die Zeitung Mainichi.
Von 2017 bis 2021 sank die japanische Bevölkerungszahl von 128 Millionen auf 125,7 Millionen
“Wir haben über ein weiteres Kind gesprochen und würden gerne noch eines bekommen, aber für den Moment haben mein Mann und ich entschieden, dass das nicht wirklich möglich ist”, erklärt Ayako der DW. “Die 80.000 Yen wären zwar hilfreich, aber welche Kosten könnte man damit wirklich decken?”, fragt sie. “Ein Baby braucht Kleidung und Essen, es wird schnell groß und braucht noch mehr.”
“Ich nahm mir eine Auszeit von der Arbeit, was sich auf unser Einkommen auswirkte. Zwar hat mein Mann eine feste Stelle und verdient genauso viel wie vor der Pandemie, aber die Kosten für Dinge wie Grundnahrungsmittel und Brennstoffe sind in den letzten Monaten stark gestiegen.”
Zu kurzsichtig?
Nicht nur die Zentralregierung, auch regionale Behörden und viele Kommunen versuchen, Familien Anreize zu geben, mehr Kinder zu bekommen. Dazu gehören Autos und sogar mietfreie Wohnungen in ländlichen Regionen, die den Bevölkerungsrückgang am deutlichsten spüren.
Diesen Ansatz hält Noriko Hama, Analystin und Professorin an der Doshisha Universität von Kyoto, für kurzsichtig, denn die umfassenderen Probleme junger japanischer Paare würden dabei nicht berücksichtigt. “Die Probleme, mit denen sich Japan als Nation konfrontiert sieht, werden dadurch nicht wie von Zauberhand gelöst”, betont sie.
“Es geht nicht darum, jungen Menschen einfach Geld hinterherzuwerfen und zu erwarten, dass sie mehr Kinder bekommen. Die soziale Infrastruktur muss besser werden, damit Menschen sich sicher genug fühlen, Kinder zu haben.”
Mutter und Tochter ganz in rosa – ein Kontrast zu dem gar nicht rosigen Alltag für Kinder und Eltern in Japan
“Im Moment sorgen sich die Menschen um das Umfeld, in dem sie Kinder großziehen müssen. Bis sich das verbessert, wird die Geburtenrate nicht steigen”, ist sich Hama sicher. In Japan mangelt es seit langem an Betreuungsplätzen für erwerbstätige Eltern. Angesichts der niedrigen Kinderzahl entbehre das nicht einer gewissen Ironie, so Hama. Unternehmungen mit der Schule, die Mitgliedschaft in Sportvereinen und die Betreuung nach Schulschluss kosteten ebenfalls Geld.
An der Realität vorbei
Ein großer Kostenfaktor ist “juku”, der zusätzliche Unterricht, durch den sichergestellt werden soll, dass das Kind einen Platz an einer guten weiterführenden Schule und später an einer guten Universität erhält. Eine Hochschulausbildung dauert in der Regel vier Jahre und kann eine große finanzielle Belastung für Familien darstellen, selbst dann, wenn das Kind einen Teilzeitjob hat.
“Die Gehälter sind seit mehr als einem Jahrzehnt nahezu unverändert geblieben, doch die alltäglichen Kosten steigen inflationsbedingt immer weiter. Der Druck ist also so hoch wie noch nie”, sagt Hama.
“Es ist typisch, dass eine weitere Regierung wie bereits viele Regierungen davor zu dem Schluss gekommen ist, dass sich das Problem mit Geld lösen lässt”, sagt Hama und fügt hinzu: “Die Regierung hat völlig den Kontakt zur Realität der normalen Japaner verloren. Ich befürchte, sie haben keine Ahnung von ihren Unsicherheiten, Ängsten und Bedürfnissen. […] Die Situation wird sich erst ändern, wenn wir eine Regierung bekommen, die die Bedürfnisse der Bevölkerung erkennt.”
Aus dem Englischen adaptiert von Phoenix Hanzo.