Joshua Kimmich: “Angst, dass ich in ein Loch falle”

Die tiefe Enttäuschung konnte Joshua Kimmich nicht verbergen. Seine Augen waren glasig, seine Stimme belegt. “Das ist heute der schwierigste Tag meiner Karriere”, erklärte der 27-Jährige den wartenden Reporterinnen und Reportern in der Mixed-Zone nach dem WM-Spiel gegen Costa Rica. Der Mittelfeldspieler sprach offen und ehrlich über seine Enttäuschung nach dem erneuten WM-Aus in einer Gruppenphase.

So viel Misserfolg ist der 27-Jährge nicht gewöhnt, denn mit dem FC Bayern München hat Kimmich alle namhaften Titel gewonnen. In der deutschen Nationalmannschaft dagegen sieht das etwas anders aus. Sein erstes großes Turnier spielte er 2016 bei der Europameisterschaft in Frankreich, wo er sich auch als Stammspieler in der DFB-Elf etablieren konnte. Deutschland war 2014 gerade Weltmeister geworden und kämpfte sich auch bei der EM bis ins Halbfinale. Seitdem geht es für die Nationalmannschaft mit ihm als Führungsspieler aber steil bergab.

Vorrunden-Aus bei der WM in Russland, zwei Jahre später war im Achtelfinale gegen England Schluss und jetzt in Katar ein erneuter Rückschlag. “Ich bin 2016 dazugekommen, davor war Deutschland immer im Halbfinale”, erklärte Kimmich den Reportern und ergänzte: “Dann kommt man dazu und scheitert zweimal in der Vorrunde und letztes Jahr im Achtelfinale. Das ist für mich schon nicht einfach zu verkraften, weil ich persönlich mit dem Misserfolg in Verbindung gebracht werde.”

Kimmich: “Habe Angst in ein Loch zu fallen”

Kimmich, der als Führungsspieler die deutsche Elf zu weiteren Erfolgen führen sollte, gilt als ehrgeizig und erfolgshungrig. “Gerade auch in der Rolle, die ich habe, mit mehr Verantwortung, die Mannschaft weiterzubringen.” Das sei ihm nicht gelungen so der 27-Jährige und sparte auch nicht mit Eigen-Kritik. “Wir fahren wieder nach Hause. Dementsprechend habe ich echt Angst, in ein Loch zu fallen”, so Kimmich mit Tränen in den Augen.

Auch beim kommenden Turnier, der EM in Deutschland, wird der Mittelfeldspieler wieder dabei sein. Und wieder eine der wichtigsten Persönlichkeiten im Team von Bundestrainer Hansi Flick sein. Doch wie das Rest des Teams aussehen wird, scheint aktuell mehr als fraglich. Thomas Müller philosophierte vor den Kameras bereits über seinen Rücktritt, ruderte später in der Mixed-Zone dann aber wieder ein wenig zurück und erklärte, er wolle sich in Ruhe überlegen, wie es weiter geht. “Es ist extrem traurig, so etwas zu hören”, sagte Jamal Musiala. “Er ist nicht nur ein Mitspieler, sondern auch ein guter Freund und Mentor, von dem ich viel lernen kann. Er ist eine Legende und hat viel für das Land gemacht.”

Es fehlt die Qualität

Die DFB-Elf steht mal wieder vor einem Umbruch. Doch welche Spieler Hansi Flick, der wohl Bundestrainer bleiben wird, dazu zur Verfügung haben wird, scheint momentan mehr als fraglich. Fest steht, dass viele Akteure schlichtweg nicht ausreichend Qualität besitzen, um in der Weltspitze mithalten zu können. 

Enttäuscht schleicht die deutsche Nationalmannschaft nach dem Spiel gegen Costa Rica in Al-Bayt vom Platz

Enttäuscht schleicht die deutsche Nationalmannschaft nach dem Spiel gegen Costa Rica in Al-Bayt vom Platz

“Wir müssen in der Ausbildung besser werden. Wir reden seit Jahren über Neuner, die wir brauchen und auch über spielstarke Außenverteidiger”, kritisierte Flick nach dem Spiel gegen Costa Rica. “Uns hat über Jahre hinweg das Verteidigen ausgezeichnet. Wir brauchen wieder die Basics.”

Auch Kimmich wurde deutlich in seiner Analyse: “Wenn ich sehe, was wir für Torchancen liegen lassen, dann ist das nicht nur Pech, sondern auch Unvermögen”, so der 27-Jährige, der auch bei der Abwehrleistung kein Blatt vor dem Mund nahm. “Dazu bekommen wir sehr einfach Gegentore. Ein Gegner muss nicht viel investieren, um gegen uns Tore zu machen.”

Kimmich: “Wie das Aufreißen einer Wunde”

Die Unzufriedenheit und Ratlosigkeit standen Kimmich ins Gesicht geschrieben. Dennoch gab er sich mit Blick auf die Zukunft kämpferisch. Einen möglichen Rücktritt aus der Nationalmannschaft schloss er kategorisch aus. Die restliche WM in Katar wolle er nur am Rande weiterverfolgen. “Das ist wie das Aufreißen einer Wunde, wenn ich mir jetzt die Spiele anschaue und denke, da könnte ich selber jetzt auf dem Platz stehen.”

In den kommenden Wochen wolle er sich Gedanken machen und Energie sammeln für die anstehenden Aufgaben. Nach der Erholungsphase geht es für die DFB-Elf dann um das nächste Ziel: die Heim-EM in anderthalb Jahren. Kimmich verschwendet derzeit noch keinen Gedanken daran, doch es steht fest, dass er alles tun wird, um seine schwarze Serie in der Nationalmannschaft zu beenden.