Wintersportler aus Südamerika: Von Appen ist Einzelkämpfer einer riesigen Ski-Region

“Ich bin sehr glücklich, es sind meine besten Ergebnisse bei Weltmeisterschaften”, erzählt Henrik von Appen am Rande der alpinen Ski-WM im Gespräch mit der DW. Platz 24 erreichte der Chilene im Super-G, noch etwas besser lief es in der Abfahrt mit Rang 22. “Wenn man bedenkt, dass ich mich Ende 2019 am Knie verletzt habe, bin ich sehr zufrieden. Was mir am besten gefallen hat, ist, dass ich in zwei Disziplinen konstant war. Das motiviert mich sehr.” Aus Südamerika ist er der Einzige, der im Ski-Weltcup recht weit vorne mitfahren kann.

Einzelkämpfer mit historischer Leistung

Von Appen ist im Grunde die Ein-Mann-Speerspitze Südamerikas im alpinen Skisport. In diesem Winter holte er bei zwei Rennen Punkte im Weltcup – als erster Chilene in 56 Jahren des Bestehens des Wettbewerbs. Es war der bisherige Höhepunkt nach knapp zehn Jahren als Einzelkämpfer. Während Ski-Nationen wie Österreich und die Schweiz ihre Talente von klein auf päppeln, musste sich von Appen allein durchbeißen. “Schwierig” sei das, berichtet er. Mittlerweile habe er aber mehr Unterstützung und ein gutes Team um sich geschart. “Natürlich bezahle ich immer noch einiges aus eigener Tasche, weil ich nicht alles abdecken kann.” Sponsoren habe er auch nur in Europa gefunden, keine Förderer aus Südamerika.

“So lange von der Familie und meiner Heimat Chile getrennt zu sein, ist schwierig. Die Europäer beenden ihre Wettkämpfe und gehen nach Hause, um bei ihren Familien zu sein. Ich bin fertig und gehe in ein Hotel.” Inzwischen begleitet ihn seine Freundin zu den Rennen, beide suchen eine Wohnung in den Alpen, um dort einen Rückzugsort zu haben. 

Henrik von Appen, Skifahrer aus Chile, hat nach dem Abfahrtstraining im Zielraum der Ski-WM in Courchevel seine Brille abgenommen und wirkt nachdenklich.

Nach zwei Jahren Verletzungspause erzielte von Appen im November mit Platz 14 sein bestes Weltcupergebnis

In von Appens Heimat Chile fahren rund 200.000 Menschen Ski, so die Schätzung des nationalen Ski-Verbandes. Der hat sich zum Ziel gesetzt, die Zahl seiner Leistungssportler – von Nachwuchstalent bis zum Fahrer im Nationalkader – auf 750 zu erhöhen. Zum Vergleich: Allein in der Schweiz, die halb so viele Einwohner wie Chile hat, stehen rund 2,96 Millionen Breitensportler auf Brettern. Insgesamt seien es eben viel weniger Skisportler, aus denen sich Talente entwickeln könnten, meint von Appen. 

Dass insgesamt nicht mehr Menschen diesen Sport ausüben, liege vor allem an den Kosten. “Ski-Fahren ist ein elitärer Sport”, sagt Pauline Kantor im Gespräch mit der DW. Bis 2019 war Kantor knapp zwei Jahre Sportministerin von Chile und fuhr früher selbst im Ski-Nationalteam des Landes. “Obwohl die Ski-Zentren weniger als eine Stunde von der Hauptstadt Santiago entfernt sind, gibt es für viele Menschen keine Möglichkeit, das zu nutzen”, sagt sie.

Ein weiterer Grund seien die im Vergleich zu Europa kürzeren Nutzungszeiten der Ski-Pisten  in Chile. “Mit viel Glück sind es drei Monate. Während die in der nördlichen Hemisphäre fast sechs Monate dauern, was es den Ski-Fahrern ermöglicht, nonstop zu trainieren.”  

Südamerika als Markt – wieder einmal

Der gerade erst wiedergewählte Präsident des Welt-Skiverbandes FIS sieht viel Potential für den Ski-Alpinsport in Südamerika. Johan Eliasch will mit dem Weltcup expandieren. Eliasch sieht dort “riesige Chancen”. In China – einer ebenfalls wenig entwickelten Ski-Nation – gelten ab der Saison 2024/25 Rennen bereits als ausgemacht. Ähnliche Pläne der FIS gibt es auch für Südamerika. Ob es diesmal klappt?

Es wäre nicht die erste Initiative: Schon 1966 vergab die FIS ihre Ski-WM nach Portillo in Chile – damals eine große Überraschung. Die Wettkämpfe selbst waren jedoch von einigen organisatorischen Problemen begleitet. Es blieben deshalb bis heute die einzigen Titelkämpfe auf der Südhalbkugel. Gleichzeitig gilt Portillo kurioserweise als Wiege des Weltcups. 1966 wurde dort das Konzept erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt.

An den Trainingsbedingungen liegt es jedenfalls eher nicht, dass es so wenige Top-Fahrer aus Südamerika gibt. Schneesicherheit und Qualität der Pisten dort sind gegeben und gefragt. Egal ob im argentinischen Ushuaia oder beispielsweise im Valle Nevado in Chile: Die Teams aller großen Ski-Nationen reisen inzwischen zu wochenlangen Trainingslagern an, unter anderem weil durch die Klimaerwärmung die Gletscher der Alpen schmelzen. Zehn Tonnen Ski-Material karrte im vergangenen August allein der österreichische Skiverband für seine Stars nach Chile. Auch der frischgebackene Abfahrtsweltmeister und Superstar Marco Odermatt aus der Schweiz ist dort regelmäßiger Gast.

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Von Appen: Traumziel Medaille

Chile unternimmt große Anstrengungen, die eigenen Spitzensportler zu unterstützen, berichtet Ex-Sportministerin Kantor. Schwierig sei es jedoch vor allem für den Nachwuchs. “Für die Ausbildung, Reisen und Ausrüstung aufzukommen, bleibt bisher vor allem an den Familien der Sportlerinnen und Sportler hängen.” Seit ihrer Zeit als Rennläuferin Anfang der 1980er Jahre habe sich viel verändert. Die FIS hat schon 1994 damit begonnen, in Südamerika kleinere Rennen zu etablieren. “Das Niveau ist viel höher”, betont sie, “dabei hilft der Südamerika-Cup, der in Chile und Argentinien stattfindet. Dort starten auch europäische und nordamerikanische Läufer, was die Konkurrenz natürlich enorm nach vorne bringt.” 

Henrik von Appen beobachtet die Entwicklung in seinem Sport genau. Damit es, genau wie er, mehr Talente aus Südamerika in die Weltcup-Ergebnislisten schaffen, müssten seiner Meinung nach Leistungszentren in den Bergen entstehen und der Nachwuchs über mehrere Jahre betreut und gefördert werden. Hoffnung macht ihm, dass Skisport häufiger in Zeitungen und im Fernsehen auftaucht. “Das weckt bei Kindern Interesse, vielleicht auch Sk-Profi zu werden.” 

Wie lange er seine Vorbildrolle noch erfüllen will, lässt von Appen offen. “Ich bewerte das von Jahr zu Jahr”, sagt der 28-jährige. Er beabsichtige eine Familie zu gründen und andere Dinge in seinem Leben auszuprobieren. Ebenso reizt ihn jedoch die Aussicht noch mal bei Olympischen Winterspielen dabei zu sein. “Eine Medaille zu gewinnen war schon immer der größte Traum.” Die nächste Chance bietet sich 2026 im italienischen Cortina d’Ampezzo.