Wahl in Estland: Die Haltung zum Krieg auf dem Prüfstand

Überschattet durch die Auswirkungen von Russlands Krieg gegen die Ukraine wählen die Menschen in Estland an diesem Sonntag ein neues Parlament. Gut 965.000 Wahlberechtigte sind aufgerufen, in dem baltischen EU- und NATO-Land über die 101 Sitze im Parlament in Tallinn zu entscheiden. Zur Wahl in der an Russland grenzenden Ostseerepublik treten neun Parteien an, erste Ergebnisse werden in der Nacht zum Montag erwartet.  

Streit über Waffenlieferungen an Ukraine

In Umfragen vor der Wahl lag die wirtschaftsliberale Reformpartei von Ministerpräsidentin Kaja Kallas vorn. Die seit 2021 als erste Frau an der Regierungsspitze Estlands stehende Kallas gilt als eine der resolutesten Unterstützer der Ukraine in Europa. Die 45-Jährige führt gegenwärtig eine Dreierkoalition mit den Sozialdemokraten und der konservativen Partei Isamaa an. Ob dieses Bündnis sich trotz hoher Zustimmungswerte für Kallas an der Macht halten kann, ist unklar. Zweitstärkste Kraft wird den Umfragen zufolge voraussichtlich die Rechtsaußen-Partei Ekre bleiben.

Geprägt wurde der Wahlkampf unter anderem vom Streit über die Militärhilfen für die Ukraine im Krieg gegen die russischen Invasionstruppen. Kallas ist eine entschiedene Befürworterin der Waffenlieferungen, während sich Ekre gegen deren Fortsetzung ausgesprochen hat. Estlands Militärhilfe für die Ukraine entspricht derzeit mehr als einem Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Das ist mehr als bei jedem anderen Land gemessen an der Größe der Volkswirtschaft.

Estland: Stoisch durch die Wirtschaftskrise

Ein weiteres wichtiges Thema bei den Wahlen in dem baltischen Staat ist der dramatische Anstieg der Lebenshaltungskosten. Die Inflationsrate betrug im Januar 18,6 Prozent. 

Erster Staat in Europa mit “E-Voting” 

Eine Besonderheit der Wahl ist die Möglichkeit zur Stimmabgabe über das Internet. Bereits vor dem eigentlichen Wahltag stimmte dieses Mal fast ein Drittel der Wähler online ab – so auch Staatspräsident Alar Karis und Regierungschefin Kaja Kallas. Estland ist das erste Land in Europa, das die Stimmabgabe per Internet bei politischen Wahlen zulässt.

Die klassische Variante der Abstimmung: Ein Wahllokal in der estnischen Hauptstadt Tallinn

Die “klassische” Variante der Abstimmung: Ein Wahllokal in der estnischen Hauptstadt Tallinn

Für das “E-Voting” benötigten die Esten einen Computer, eine ID-Karte und ein spezielles Kartenlesegerät. Die Abstimmung dauert nur wenige Minuten: Nach dem Download der App von der Webseite der Wahlbehörde identifiziert sich der Wähler per PIN-Code, stimmt ab und verifiziert die Wahl mit seiner digitalen Unterschrift. Alternativ kann auch ein Mobiltelefon mit spezieller SIM-Karte zur Identifizierung verwendet werden. 

Anders als beim traditionellen Urnengang kann sich der Wähler bis zum Wahlschluss nochmals umentscheiden –  nur die zuletzt abgegebene Stimme zählt am Ende. Geht er am Wahltag, an dem kein “E-Voting” mehr möglich ist, in ein herkömmliches Wahllokal und gibt einen Papierstimmzettel ab, wird die online abgegebene Stimme annulliert. Die endgültigen Ergebnisse des Online-Voten sind daher erst nach der Schließung der Wahllokale und einer doppelten Abstimmungskontrolle verfügbar.

sti/pg (afp, dpa)