Militärhilfe für die Ukraine: Nur ein Bruchteil früherer Kriege

Er werde in den kommenden Tagen weitere Waffenlieferungen im Wert von 500 Millionen US-Dollar freigeben, kündigte US-Präsident Joe Biden während seines Kurzbesuches am Montag in Kiew an. Konkret geht es um Artilleriemunition, weitere Haubitzen und weitere schultergestützte, panzerbrechende Raketenwerfer vom Typ Javelin. Die Ankündigung während des symbolträchtigen Biden-Besuchs kurz vor dem Jahrestag der russischen Invasion in der Ukraine passt ins Bild der vom Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel jetzt aktualisierten Analyse über den finanziellen Wert der Hilfen für die Ukraine.

“Die Amerikaner sind in der Unterstützung der Ukraine der Taktgeber”, sagt der Ökonom Christoph Trebesch, der den “Ukraine Support Tracker” des IfW betreut. “Die Zögerlichkeit der Europäer im ersten Kriegsjahr ist ein bemerkenswertes Phänomen, zumal finanzielle Ressourcen schnell mobilisierbar sind”, sagt Trebesch. Er meint die vor allem finanziellen Zahlungen der EU-Staaten zur Stützung des ukrainischen Haushalts, vor allem in Anbetracht der um bis zu 40 Prozent eingebrochenen Wirtschaftsleistung der Ukraine im Zuge des russischen Angriffskriegs.

Kiew: US-Präsident Biden schüttelt die Hand des ukrainischen Präsidenten Selenskyj vor Porträts der Opfer des Krieges seit 2014

US-Präsident Joe Biden (r.) kündigt Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskij in Kiew die Genehmigung von weiteren Waffenlieferungen im Wert von 500 Millionen Euro an

Die IfW-Ökonomen berechnen aus öffentlichen Quellen zum einen die direkten Finanzhilfen und die humanitäre Hilfe und kalkulieren zum anderen auch die Kosten der an die Ukraine gelieferten Waffen. Lieferungen aus Militärbeständen wie zum Beispiel von der deutschen Bundeswehr werden dabei nach Marktpreisen bewertet und vom IfW aufgelistet.

Bilaterale deutsche Hilfe in Höhe des Tankrabatts

Demnach haben die USA gegenüber der letzten Aktualisierung des “Ukraine Support Tracker” aus dem Dezember “mit weiteren Zusagen im Volumen von 37 Milliarden Euro” im Dezember die EU und ihre Mitgliedsstaaten wieder überholt, schreibt das Institut in seiner aktuellen Analyse. Die gelieferten und angekündigten US-Hilfen belaufen sich jetzt auf 73,1 Milliarden Euro gegenüber 54,9 Milliarden Euro der EU. Mittlerweile wurde der Ukraine also Hilfe über 128 Milliarden Euro geliefert oder versprochen. Die USA geben doppelt soviel wie die EU insgesamt, gefolgt von Großbritannien und Deutschland. 

Erstmals setzen der IfW-Ökonom Trebesch und sein Team die Ukraine-Hilfen in Relation zu anderen Ausgaben der mehr als 50 Unterstützer-Staaten der “Ukraine-Kontaktgruppe”, die von den USA angeführt werden. “In Summe sind die Hilfen für die Ukraine finanziell meist nur ein Bruchteil dessen, was Regierungen für das Abfedern der Krise im eigenen Land aufwenden”, heißt es in der Analyse. “Allein Deutschland hat seit Januar 2022 mehr als 250 Milliarden Euro an Subventionen angekündigt, um den Anstieg der Energiepreise für Verbraucher und Unternehmen abzufedern.”

Die bilaterale Hilfe Deutschlands an die Ukraine belaufe sich jetzt auf 6,15 Milliarden Euro. Demgegenüber habe die Bundesregierung 5,65 Milliarden Euro allein für den sogenannten Tankrabatt und das vergünstigte Ticket für den öffentlichen Nahverkehr ausgegeben. Mit diesen beiden Maßnahmen hatte die deutsche Regierung vergangenen Sommer den Preisschock für die Verbraucher durch die explodierenden Rohstoffpreise nach Beginn der russischen Invasion am 24. Februar gedämpft. Nicht berücksichtigt haben die Forscher die für März angekündigten Lieferungen westlicher Kampfpanzer wie den Leopard 2 für die Ukraine. Grund sind die unklaren Zusagen der europäischen Länder, die über den Kampfpanzer aus deutscher Produktion verfügen. Teil der Ausgabenübersicht sind allerdings jene 100 Millionen US-Dollar für die Ausbildung ukrainischer Piloten an westlichen Kampfjets, die das US-Repräsentantenhaus vergangenen Sommer durchwinkte. 

Deutschland: Dreimal mehr Mittel zur Befreiung Kuwaits 

Erstmals stellen die IfW-Forscher auch die Kosten der Ukraine-Hilfe im ersten Kriegsjahr westlichen Ausgaben in anderen Kriegen gegenüber. So habe Deutschland, gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP), beim Golfkrieg 1990/91, als der Irak das Nachbarland Kuwait überfallen hatte, “dreimal mehr zur Verteidigung Kuwaits” ausgegeben. Dieses Geld floss damals direkt an die USA. Deutschland beteiligte sich nicht direkt militärisch an der “Operation Wüstensturm”, mit der die US-Armee den angegriffenen Golfstaat befreite. Die US-Regierung wendete dafür fast ein Prozent des BIP auf im Vergleich zu weniger als 0,4 Prozent für die Ukraine bislang. Auch die jährlichen US-Militärausgaben in Afghanistan lagen von 2001 bis 2010 dreimal höher als Washingtons Ausgaben zur Verteidigung der Ukraine im ersten Jahr seit Beginn des russischen Überfalls. Allerdings schickten die USA im Gegensatz zur Ukraine auch Bodentruppen nach Afghanistan und in den Mittleren Osten und mussten sie über Jahre versorgen. 

Die Kieler Ökonomen können auch nachweisen, dass die Lieferungen und Zusagen an die Ukraine im vergangenen Juni zunächst eingebrochen sind. Und zwar von mehr als 20 Milliarden Euro im Mai auf noch gut fünf Milliarden Euro im Juni.

Das hohe Niveau wurde erst im November wieder erreicht und damit nach den erfolgreichen Befreiungen durch die ukrainische Armee im Osten und Süden des Landes: Zunächst durch die Zusage der EU, die Ukraine im Jahr 2023 mit Finanzhilfen zu stützen, und dann durch das umfangreiche US-Militärpaket, mit dem das US-Repräsentantenhaus 37 Milliarden Euro Militärhilfe im vergangenen Dezember verabschiedete. Es ist wohl jenes Hilfspaket, aus dem US-Präsident Biden bei seinem Besuch in Kiew Anfang der Woche 500 Millionen Euro an Waffenlieferungen für Kiew genehmigte – verbunden mit den Worten, die Unterstützung der USA für die Ukraine sei “unerschütterlich”.