Kämpfe in Belgorod: Einheiten aus Russen in der ukrainischen Armee

“Träume werden wahr! Ich bin jetzt in der Legion ‘Freiheit Russlands'”, so der ehemalige Vizechef der staatlichen russischen Gazprombank, Igor Wolobujew. Auf dem Telegram-Kanal der Legion finden sich Angaben zu einer ganzen Reihe russischer Militärs, die zur Ukraine übergelaufen sind und sogar ihre Namen preisgegeben haben.

Gegen Russland kämpfen somit auf der Seite Kiews nicht nur Ukrainer, sondern auch Russen selbst – im “Russischen Freiwilligenkorps” und in der Legion “Freiheit Russlands”.

Am Montag beschossen Kämpfer dieser Einheiten die russische Region Belgorod. Andrij Jusow vom ukrainischen Geheimdienst sprach im öffentlich-rechtlichen Sender “Suspilne” von einer “Operation zur Befreiung von Gebieten der Region Belgorod vom Putin-Regime”.

Einheiten nur aus Russen

Spätestens seit Anfang April 2022 ist bekannt, dass es die Legion “Freiheit Russlands” gibt. Sie wurde angeblich aus gefangengenommenen russischen Soldaten gebildet, die auf die ukrainische Seite gewechselt waren, aber auch aus Freiwilligen mit russischem Pass.

Portrait des maskierten Kämpfers Kardinal

Der Kämpfer “Kardinal” wünscht sich einen Nationalstaat der Russen

Dabei handelt es sich um etwa 500 Mann, sagt Ilja Ponomarjow, ehemaliger Abgeordneter der russischen Staatsduma, der heute im Exil lebt und die Einheit vertritt. 2014 hatte er als einziger gegen die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim gestimmt.

Die andere Einheit, das “Russische Freiwilligenkorps”, formierte sich im August vergangenen Jahres. Die Stärke der Einheit wird geheim gehalten, aber ein Kämpfer mit dem Rufnamen “Kardinal”, dessen Militärausweis der DW vorgelegt wurde, sagt, dass sie Aufgaben einer Kompanie wahrnehme.

Eine Kompanie besteht aus 30 bis 150 Mann. Der aus dem russischen rechtsradikalen Umfeld bekannte Mitbegründer der Einheit, der Geschäftsmann Denis Kapustin, mit dem Pseudonym Denis Nikitin, berichtete Ende letzten Jahres, dass das “Russische Freiwilligenkorps” schon seit Herbst 2022 mit der ukrainischen Armee im Einsatz ist.

“Echter Nationalstaat”

In sozialen Netzwerken heißt es seitens des “Russischen Freiwilligenkorps”, alle Mitglieder würden rechtskonservative Ansichten vertreten. Beispielsweise sieht der Kämpfer “Kardinal” das künftige Russland als einen “echten Nationalstaat der Russen in den ursprünglich russischen Gebieten – unter Berücksichtigung der territorialen Integrität von der Ukraine und Belarus sowie der Nachbarländer”. Er betont: “Wir wollen einen Staat für die Russen errichten, der mit allen umliegenden Nationen in Frieden leben will.”

Russland-Ukraine-Krieg | Kämpfe in Belgorod

Beschädigte Gebäude in der umkämpften russischen Region Belgorod

Die Angehörigen der Legion “Freiheit Russlands” äußern hingegen ihre politischen Ansichten nicht öffentlich. Ilja Ponomarjow weist darauf hin, dass es in der Einheit keine vorherrschende Ideologie gebe. Sie sei der Prototyp der künftigen Armee der Russischen Föderation, meint er. Ihr Vorteil sei, dass sie sich weder links noch rechts positioniere, weder liberal noch konservativ sei. Die Idee, sich Russlands Aggression zu widersetzen, würde ihre Mitglieder einen, so Ponomarjow.

Auflösung oder Erhalt der Föderation?

Das “Russische Freiwilligenkorps” gehört dem “Zivilrat”, einer in Warschau gegründeten neuen Vereinigung russischer Emigranten, an. Anastasia Sergejewa, die dort für internationale Fragen zuständig ist, leitete noch bis vor Kurzem die polnische Stiftung “Für ein freies Russland”.

Sie sagt, dem “Zivilrat” würden auch Aktivisten aus Teilrepubliken der Russischen Föderation angehören, und sie würden sich für das Selbstbestimmungsrecht ihrer Völker einsetzen. Der “Zivilrat” hat auf YouTube Videobotschaften an Tschetschenen und Tscherkessen veröffentlicht, in denen diese aufgerufen werden, für die Ukraine zu kämpfen und sich für die Unabhängigkeit ihrer Republiken einzusetzen. Um die Arbeit des “Zivilrats” und die Ausbildung neuer Kämpfer zu finanzieren, bemüht sich Sergejewa um private Spenden.

Der Vertreter der Legion “Freiheit Russlands”, Ilja Ponomarjow, sagte der DW Ende 2022, er sei in Gesprächen über eine Zusammenarbeit mit Vertretern verschiedener Länder und Medien gewesen. Im Gegensatz zum “Russischen Freiwilligenkorps”, das die Abspaltung von Regionen von der Russischen Föderation zulässt, heißt es von der Legion, Ziel sei, “ein geeintes und unteilbares Russland innerhalb der Grenzen von 1991 zu bewahren”. Den Regionen müssten aber weitreichende Befugnisse übertragen werden und ihre ethnische Identität sollte erhalten bleiben. Auch die Legion sammelt für ihre Arbeit Geld – in Kryptowährung.

Portrait von Anastasia Sergejewa

Anastasia Sergejewa vom “Zivilrat” der russischen Opposition unterstützt das Selbstbestimmungsrecht der Völker

Rekrutierung von Kämpfern

Bevor das “Russische Freiwilligenkorps” seine Zusammenarbeit mit dem “Zivilrat” begann, hatte es nur Russen aufgenommen, die sich bereits im Ausland aufhielten. Viele von ihnen beteiligten sich laut eigenen Angaben seit 2014 im Asow-Freiwilligenbataillon aufseiten der Ukraine an den Kämpfen im Donbass.

Heute ist der “Zivilrat” eine Art Rekrutierungszentrum. Anastasia Sergejewa zufolge werden nun auch Männer direkt aus Russland aufgenommen. Auf der Website des Rates wird potenziellen Freiwilligen angeboten, einen Fragebogen in einem Google-Formular auszufüllen oder an ein verschlüsseltes ProtonMail-Postfach zu schreiben. “Die weitere Kommunikation läuft über sichere Systeme, die wir vorschlagen”, erläutert Sergejewa, ohne auf Einzelheiten einzugehen.

Wie Oleksij Arestowytsch, einst Berater im ukrainischen Präsidialamt, betont, seien für die Legion “Freiheit Russlands” zunächst nur solche russische Kriegsgefangene rekrutiert worden, die ihre Ansichten geändert hätten. Doch auch die Legion nimmt nach seinen Worten inzwischen Männer auf, die sich noch in Russland befinden.

Auch hier müssen Interessenten zunächst an ein ProtonMail-Postfach ihren Lebenslauf und Kopien von einer ganzen Reihe von Papieren, darunter ihres Ausweises, schicken. Das Aufnahmeverfahren sieht, wie die Legion selbst berichtete, angeblich eine Prüfung durch einen Lügendetektor sowie psychologische und andere Eignungsprüfungen vor.

Seit einem erfolglosen Versuch im August 2022, sich zusammenzuschließen, stehen sich das “Russische Freiwilligenkorps” und die Legion “Freiheit Russlands” gegenseitig kritisch gegenüber. Sie vermeiden es jedoch, dies öffentlich zu zeigen.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk