Experte über Anti-Terror-Kampf in Mali: “Die Lage in Gao ist schlecht”

Bis Mai 2024 sollte die Bundeswehr in Mali bleiben, zumindest nach Ansicht der im Januar zurückgetretenen Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD). Ihr Nachfolger Boris Pistorius, ebenfalls Sozialdemokrat, brachte in seinen ersten Amtstagen eine kürzere Restdauer für den gefährlichsten Einsatz der Bundeswehr ins Gespräch. Nun wurde zudem im Deutschen Bundestag ein Antrag der CDU/CSU-Fraktion debattiert, in dem gefordert wird, den Einsatz “rasch und geordnet, aber bis spätestens Ende 2023 zu beenden”. Der Antrag der größten Oppositionsfraktion wurde an den Auswärtigen Ausschuss zur Beratung überwiesen.

Das wohl größte Problem des Einsatzes: Die malischen Militärmachthaber in Bamako verweigern der Bundeswehr immer wieder Überflug- und Landerechte für Aufklärungsdrohnen oder das Transportflugzeug A400M. Am Einsatzort Gao wird die Bundeswehr hingegen viel positiver wahrgenommen als in der Hauptstadt. Das hat Ulf Laessing, der Leiter des Sahel-Programms der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Mali, kürzlich selbst beobachtet. Im Gespräch mit der DW blickt er auf den Einsatz und die Herausforderungen in der Region.

 

Ulf Laessing | Leiter des Regionalprogramms Sahel | Konrad-Adenauer-Stiftung

KAS-Sahel-Experte Ulf Laessing

Deutsche Welle: Bundesfinanzminister Christian Lindner war vergangene Woche in Mali, um sich nach eigenen Worten selbst ein Bild zu machen von der Lage der Bundeswehr in Mali. Er hat – wie sein Kabinettskollege Boris Pistorius – betont, dass das Engagement der Bundeswehr nur erfolgreich sein könne, wenn die malische Regierung dies unterstütze. Herr Laessing, wie reagieren die Malier?

Ulf Laessing: Da gibt es zwei Dynamiken. Für die Menschen hier im Süden, in der Hauptstadt Bamako, ist der Konflikt im Norden weit weg; sie interessieren sich nicht so stark dafür. Aber im Norden ist die Bundeswehr sehr beliebt und auch die UN-Stabilisierungsmission MINUSMA. Das hängt damit zusammen, dass ohne die Präsenz der Bundeswehr beziehungsweise der MINUSMA die Sicherheitslage in den größeren Städten wie Gao wahrscheinlich noch schlechter wäre. Hinzu kommt auch, dass die MINUSMA, an der sich Bundeswehr beteiligt, ein großer Arbeitgeber ist: Bis zu 6000 Menschen arbeiten für sie. Der Norden ist eine verarmte Region, da gibt es kaum Alternativen. Insofern wird das Engagement der Bundeswehr im Norden sehr geschätzt.

Sie waren gerade in Gao – wie war die Stimmung unter den Soldaten?

Ich war im MINUSMA-Camp, weil ich mir bewusst die Seite der UNO-Soldaten ansehen wollte. Aber ich habe auch deutsche Soldaten getroffen. Die Stimmung dort ist verhalten okay. Ich hatte allerdings den Eindruck, dass ein bisschen Verwirrung herrscht bei den Soldaten. Es wurde ja im Frühjahr 2022 gesagt, dass sie länger bleiben sollten. Man hat daraufhin mehr Geräte hingebracht, zum Beispiel mehr Hubschrauber. Und es wird gerade ein hochmodernes Feldlazarett fertiggestellt, ein riesiger Bau. Dazu gibt es auch eine neue Kantine. Es wurde also sehr viel in den Standort Gao investiert im vergangenen Jahr, in dem Wissen oder der Vermutung, dass man länger bleiben würde. Jetzt aber geht es mental in Richtung Abzug. Insofern muss man den Soldaten, glaube ich, jetzt klar sagen, wie es weitergehen soll.

Wie ist Ihre Einschätzung: Sollte die Bundeswehr gehen oder bleiben?

Ich wäre dafür, nicht sofort abzuziehen, weil der Einsatz eine stabilisierende Funktion in Gao hat. Dorthin kommen derzeit sehr viele Binnenflüchtlinge aus dem Norden, wo die Terrormiliz Islamischer Staat aktiv ist. Zum anderen hat sich die Bundeswehr auch verpflichtet, mit Rettungsflügen die UNO abzusichern. Die UNO bemüht sich jetzt um Ersatz, aber man muss ihnen schon ein bisschen Zeit geben, um andere Länder zu finden, die vielleicht die Bundeswehr ersetzen könnten. Es hängt für die MINUSMA sehr viel davon ab, wie lange die Bundeswehr bleibt. Wir ziehen da mehr oder weniger den Stecker raus. Insofern: Je länger in dem Zeitraum bis Mai 2024 wir dort noch bleiben können, desto besser.

Annalena Baerbock entsteigt einer A400M auf dem Rollfeld in Gao (12.04.2022)

Bundesaußenministerin Baerbock in Gao (im April 2022): Gegnerinn eines allzu raschen Bundeswehr-Abzugs

In Gao gibt es Tausende Binnenflüchtlinge, weil in der Region sowohl die Terrorgruppe “Islamischer Staat” als auch die Al-Kaida-nahe Gruppe GSIM sehr aktiv sind und sich auch gegenseitig bekämpfen. In welcher Lage sind die Binnenflüchtlinge?

Die Lage ist schlecht. Es gibt allein in Gao drei Camps, wo Menschen wohnen, die aus ländlichen Regionen geflohen sind. Da gibt es zum einen die Terrorgruppe “Islamischer Staat”, die sehr brutal vorgeht: Sie zerstören Felder, töten Tiere. Das ist die Lebensgrundlage der Menschen, sodass sie gezwungen sind zu fliehen. Und es gibt auch Kämpfe zwischen den verschiedenen dschihadistischen Gruppen. Opfer ist die Zivilbevölkerung, die ihre Lebensgrundlage verliert. Die Menschen fliehen dorthin, wo es noch einigermaßen sicher ist – unter anderem eben nach Gao, wo die Bundeswehr stationiert ist. Ich habe selbst auch so ein Camp besucht und die Lage ist schlecht. Die Menschen haben alles verloren und wissen, dass sie nicht so bald in ihre Dörfer zurückkehren können. Denn die Dörfer sind abgefackelt worden oder nicht mehr unter Kontrolle des Staates. Dort haben jetzt Dschihadisten das Sagen. Insofern ist das eine recht traurige Entwicklung.

Im Grunde sind wir in Mali genauso weit wie 2012/2013, als dschihadistische Gruppen den Norden kontrollierten.

Die Sicherheitslage hat sich verschlechtert, ganz klar. Ich würde trotzdem sagen, dass ohne die MINUSMA und ohne die Bundeswehr die Lage noch schlechter wäre. Das sieht man auch am Abzug der Franzosen: Die wurden auch viel kritisiert, dass ihr Einsatz nicht effektiv sei. Und nun? Nun sehen wir, dass, seit die Franzosen weg sind, die Dschihadisten auf dem Vormarsch sind. Insofern hat es schon etwas gebracht, was die Franzosen gemacht haben. Und auch das, was die Bundeswehr und die MINUSMA machen, hilft dem Land definitiv.

Mali l Christine Lambrecht begutachtet in Camp Castor Hubschrauber CH-53

Die damalige Bundesverteidigungsministerin Lambrecht in Camp Castor (im Dezember): Abzug bis Mai 2024

Angenommen, die MINUSMA zöge sich zurück – kann denn Mali, das in letzter Zeit verstärkt auf die Unterstützung durch Russland setzt, dieser Krise überhaupt noch Herr werden? Oder ist der Norden Malis dann irgendwann komplett an Dschihadisten verloren?

Das bleibt abzuwarten. Mali hat sich, wie Sie sagen, mit Russland verbündet und hält dagegen. Da muss man sehen, wie es weitergeht. Die MINUSMA hat eine stabilisierende Funktion. Aber es hat vor allem sozialen Sprengstoff, wenn die MINUSMA geht. Dann werden Tausende Menschen arbeitslos – und es haben schon Hunderte ihre Jobs verloren, als die Franzosen abgezogen sind – und die werden nicht so schnell was Neues finden. Dazu kommt die soziale Sprengkraft der Binnenflüchtlinge. Es ist derzeit völlig unklar, wie es danach weitergeht. Zudem würden vermutlich die größeren Städte wie Gao oder Timbuktu auch nicht mehr so relativ sicher sein, wie sie es jetzt sind. Mali wird versuchen, die UNO zu ersetzen, aber es ist natürlich nicht ganz leicht, 13.000 UNO-Soldaten zu ersetzen. Es werden wahrscheinlich noch weitere Gegenden unsicher werden.

Das Interview führte Dirke Köpp.

Sahel: Kampf gegen die Dschihadisten