Ex-BND-Präsident Schindler über die Zusammenarbeit von Geheimdiensten in Zeiten des Krieges

Der ehemalige Präsident des Bundesnachrichtendienstes Gerhard Schindler, der von 2011 bis 2016 amtierte, wurde unter anderem durch seine Bemühungen um mehr Transparenz im BND bekannt. Seine Memoiren jedoch konnte er nicht veröffentlichen. Das Bundeskanzleramt verweigerte im Jahr 2021 nach zweijähriger Prüfung seine Zustimmung. Im Jahr 2020 veröffentlichte Schindler eine Streitschrift unter dem Titel “Wer hat Angst vorm BND? Warum wir mehr Mut beim Kampf gegen die Bedrohungen unseres Landes brauchen”.

DW: Wenn Sie den Namen “Bulgarien” hören: Woran denken Sie als Erstes?

Gerhard Schindler: Als Erstes denke ich an die Nachkriegsgeschichte, die ich aus den Büchern kenne. Es geht mir dabei um den damaligen bulgarischen Nachrichtendienst, der sich auf besondere Tötungen für den russischen KGB spezialisiert hatte. Insoweit hatte Bulgarien, oder eigentlich der bulgarische Nachrichtendienst, leider immer einen negativen Anklang bei mir.

1.8.2013: Gedenkfeier für den Im Jahr 1978 durch den bulgarischen Geheimdienst in London getöteten bulgarischen Dissidenten Georgi Markow

1.08.2013: Gedenkfeier für den im Jahr 1978 durch den bulgarischen Geheimdienst in London getöteten bulgarischen Dissidenten Georgi Markow

In Ihrer Dienstzeit war Bulgarien schon NATO- und EU-Mitglied. Sie hatten also sicher professionelle Beziehungen zu den entsprechenden bulgarischen Diensten. In welchen Feldern haben Sie mit Sofia zusammengearbeitet damals, zu welchen Themen?

Wir hatten mit den bulgarischen Kollegen – es waren in meiner Erinnerung nur Kollegen, keine Kolleginnen – einen wirklich ausgesprochen guten, kameradschaftlichen Kontakt. Die Zusammenarbeit mit den bulgarischen Nachrichtendiensten lief – das darf ich so sagen – reibungslos. Es war damals eine ganz andere Zeit, und insofern lag der Fokus dann eher auf dem Bereich der Terrorismusbekämpfung und weniger in der klassischen Kriegsführung, wie wir sie heute beobachten.

Und genau in dieser kriegerischen Situation, die wir heute haben, befindet sich Bulgarien an der Ostflanke der Nato. Meinen Sie, dass man die Zusammenarbeit mit den bulgarischen Diensten vor diesem Hintergrund vielleicht intensiver gestalten sollte?

Ich bin ganz sicher, dass die Zusammenarbeit mit den bulgarischen Diensten heute viel, viel intensiver ist als zu meiner Zeit. Weil eben die gemeinsame Bedrohung einfach dazu zwingt, dass wir noch enger und vertrauensvoller zusammenarbeiten. Und ich habe keine Zweifel, dass das auch geschieht.

Der ehemaliger BND-Präsident Gerhard Schindler sitzt an einem Tisch vor einem Plakat mit dem Titel seines Buches, Wer hat Angst vorm BND

7.10.2020: Der ehemalige BND-Chef Gerhard Schindler stellt in Berlin sein Buch vor

Wenn Sie heute noch im Amt wären: Welche Erkenntnisse in Bezug auf den Krieg in der Ukraine würden Sie von den Partnerdiensten in der direkten Nachbarschaft, also auch von den bulgarischen, erwarten bzw. wie würden Sie diese Dienste motivieren, solche Informationen zu beschaffen? 

Natürlich steht die militärische Lage im Vordergrund und damit zusammenhängend die sogenannte Durchhaltefähigkeit der Kriegsparteien. Wir erleben allerdings in der Ukraine nicht nur einen klassischen symmetrischen Krieg, sondern auch einen Informationskrieg mit Ausmaßen, die wir so bislang nicht kannten. Desinformationen und Falschmeldungen sind an der Tagesordnung. Um in diesem Informationskrieg die Sachverhalte richtig einordnen zu können, ist letztlich alles wichtig, was zur Aufklärung der Gesamtsituation beitragen kann.

Stichwort Terrorismusbekämpfung: Sogar zu kommunistischen Zeiten hat die Bundesrepublik mit den bulgarischen Diensten zusammengearbeitet. Im Juni 1978 hat man ein RAF-Mitglied an der bulgarischen Schwarzmeerküste festgenommen. Wie war das überhaupt möglich im Kalten Krieg, dass der BND mit den bulgarischen kommunistischen Geheimdiensten zusammengearbeitet hat?

Ich selbst kann es jetzt nicht beurteilen, weil ich zu der damaligen Zeit noch gar nicht im Beruf tätig war. Aber es ist so, ohne ein Geheimnis zu verraten: Nachrichtendienste arbeiten für die Interessen ihres Landes. Nachrichtendienste kennen den Begriff “Freunde” nicht, sie kennen eben nur Interessen. Und wenn Nachrichtendienste gemeinsame Interessen finden, dann arbeiten sie auch zusammen, mehr oder weniger notgedrungen. Und wenn Sie auf die Weltkarte heute schauen, ist es ganz sicher so, dass viele Dienste zusammenarbeiten, von denen man gar nicht glaubt, dass diese Zusammenarbeit stattfindet. Der Bundesnachrichtendienst hat beispielsweise konkrete Arbeitsbeziehungen mit über 400 Nachrichtendiensten auf dieser Welt. Insgesamt gibt es ja 192 Staaten, aber viele Staaten haben mehrere Nachrichtendienste. Daran können Sie erkennen, wie weit verzweigt die Zusammenarbeit ist, weil es um die Interessen Deutschlands geht. Und da fragt man nicht “Ist das jetzt ein autokratisches Regime? Ist es ein diktatorisches Regime?”, sondern es geht um die Interessen des Landes – und da arbeitet man punktuell zusammen. Und so, stelle ich mir vor, hat man damals im Jahr 1978 den Kontakt und die Zusammenarbeit mit Bulgarien gesucht. Und die Bulgaren haben ganz sicher ein eigenes nationales Interesse daran gehabt, diese Zusammenarbeit einzugehen.

Der bulgarische Investigativjournalist Christo Grozev arbeitet beim Recherchenetzwerk Bellingcat. Er hat an der Aufdeckung des Moranschlags auf den russischen Bürgerrechtler Alexander Nawalny mitgearbeitet

Der bulgarische Investigativjournalist Christo Grozev arbeitet beim Recherchenetzwerk Bellingcat

Investigative Journalisten und Recherchenetzwerke machen heutzutage Geheimdiensten Konkurrenz. Das Investigativteam Bellingcat zum Beispiel hat zum Abschuss der Passagiermaschine MH17 über der Ostukraine im Jahr 2014 recherchiert, zum Fall Skripal und zum Anschlag auf den russischen Oppositionellen Alexej Nawalny. Das Team von Bellingcat deckt Geheimnisse auf, die man sich gar nicht vorstellen kann. Wie ist so etwas möglich?

Ja, es ist einfach möglich, weil Bellingcat einige Methoden zu Recht und gut entwickelt hat, die Nachrichtendienste so nicht betreiben können. Also zum Beispiel: Nach dem Abschuss der Passagiermaschine MH17 über der Ostukraine rief Bellingcat dazu auf, Aufnahmen von Smartphones einzureichen, mit denen russische Militär- oder Raketenfahrzeuge gefilmt worden sind, zufällig oder bewusst. Und wenn man Hunderte von Einsendungen bekommt, dann kann man plötzlich eine detaillierte, KI-bezogene Recherche machen und stellt eben fest: “Aha, hier ist so ein russischer Raketenabschusswagen durch die Lande gefahren, und man kann den Weg nachverfolgen.” Das können Nachrichtendienste nicht machen, also dazu aufrufen, ihnen Handybilder zu schicken. Das kann eben Bellingcat machen – und die Ergebnisse sind gut, das muss man eindeutig feststellen. Das macht Bellingcat mit seinen Mitteln ganz gut, und ich würde mal behaupten: Jeder benutzt seine Mittel, Hauptsache wir haben die Erkenntnisse, die wir später nutzen können, um damit ein besseres Lagebild zu erhalten.

Das Interview führte Alexander Andreev.