Auf ein Neues: Berlin geht wieder wählen

An diesem Sonntag gehen die Berliner wieder zur Wahlurne, um eine missglückte Wahl zu wiederholen. Es ist ein beispielloser Vorgang, der die Glaubwürdigkeit der demokratischen Institutionen Deutschlands in den Augen vieler in Frage stellt.

Im November vergangenen Jahres erklärte der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen am 26. September 2021 für ungültig – und fällte damit ein vernichtendes Urteil über die schlechte Organisation des Wahltags. Zahlreiche Wähler harrten stundenlang in Warteschlangen aus, weil in einigen Wahllokalen die Wahlzettel ausgingen und hastig neue kopiert wurden. Auf anderen Wahlzetteln standen die falschen Kandidaten. Diverse Wahllokale mussten vorübergehend schließen, während andere über den eigentlichen Wahlschluss hinaus geöffnet blieben und damit eine Stimmabgabe noch nach Bekanntgabe der ersten Ergebnisse möglich war. Der Berlin-Marathon, der am selben Tag abgehalten wurde, erschwerte die Versorgung der Wahllokale mit neuen Wahlzetteln.

Lange Warteschlagen an einigen Berliner Wahllokalen (26.09.2021)

Insgesamt, so der Verfassungsgerichtshof, hatten die Probleme Auswirkungen auf etwa 60 Prozent der Sitze im Berliner Abgeordnetenhaus. Obwohl kein Fehlverhalten unterstellt wurde, war das Ganze doch, wie viele Politiker seitdem zugegeben haben, extrem blamabel. Noch nie verlief eine Wahl in Deutschland so chaotisch, dass sie wiederholt werden musste.

Die rechtlichen Fragen sind noch nicht vollständig beantwortet: Vergangene Woche wies das Bundesverfassungsgericht einen Antrag gegen die Wahlwiederholung am Sonntag ab, vertagte jedoch eine endgültige Entscheidung. Damit besteht die Möglichkeit, dass auch die neue Wahl annulliert werden könnte.

Auch über der Bundestagswahl, die am selben Tag stattfand, schweben noch einige Fragezeichen. Im vergangenen Jahr beschloss der Bundestag, dass die Wahl in 431 der 2256 Berliner Wahllokale wiederholt werden müsse. Doch wann das geschehen soll, ist noch unklar, da beim Bundesverfassungsgericht auch gegen diese Entscheidung eine Beschwerde eingereicht wurde.

Politisch ist das Wahl-Fiasko vor allem für Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey eine Katastrophe. In Wahlumfragen steht ihre Sozialdemokratische Partei (SPD) mittlerweile weit hinter der konservativen CDU.

Mehr Zeit in der Wahlkabine

Die Berliner Wahlämter mussten sich an einen engen Zeitplan halten. Allein die Frist, die der Gerichtshof für die Durchführung der Wahl setzte, war eine Herausforderung. “Normalerweise haben wir ein Jahr Zeit, eine Wahl zu organisieren”, sagt der Mann, der diese Last zu schultern hat. Stephan Bröchler ist Politik- und Verwaltungswissenschaftler und wurde im Oktober 2022 zum neuen Landeswahlleiter für Berlin ernannt. Zuvor hatte er neun Monate in der Expertenkommission zur Aufklärung des Wahl-Fiaskos mitgearbeitet.

“Es klingt banal, aber eine meiner ersten Aufgaben war, festzustellen, ob wir genug Papier besorgt haben, um Wahlscheine zu drucken”, erzählt er im Gespräch mit der DW. “Außerdem haben wir die Zahl der Wahlkabinen erhöht. Pro Wahllokal sind es jetzt mindestens drei Wahlkabinen. 2021 waren es zwei.”

Schlange vor einem Berliner Wahllokal

Vor manchen Wahllokalen bildeten sich extrem lange Schlangen

Bröchler plant mit vier Minuten pro Wähler, eine Minute mehr als 2021 veranschlagt wurden. Dieser Punkt ist möglicherweise ausschlaggebend, denn einer der Gründe für die langen Warteschlangen am Wahltag 2021 war die Zeit, die die Wähler in der Wahlkabine verbrachten. Viele benötigten mehr als fünf Minuten, um die verschiedenen Stimmzettel durchzugehen. “Das war ein großes Problem”, so Bröchler.

Um die Wahlbeteiligung zu steigern, halten deutsche Behörden Wahlen für verschiedene Regierungsebenen häufig an einem Tag ab. Am 26. September 2021 fanden in Berlin daher gleich vier Abstimmungen statt: die Bundestagswahl, die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus, die Wahl zu den Bezirksverordnetenversammlungen und ein Volksbegehren über die Enteignung großer Wohnungsunternehmen. Wähler erhielten also nicht weniger als sechs Wahlzettel, denn in zwei dieser Wahlen, der Bundestagswahl und der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus, geben die Wähler jeweils zwei Stimmen ab. Mit der ersten wird der Direktkandidat gewählt, mit der anderen die Partei. Zum Glück für Bröchler müssen nach der Entscheidung des Gerichtshofs – zumindest für den Moment – nur zwei der Wahlen wiederholt werden, die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus und die Wahl zu den Bezirksverordnetenversammlungen. Wähler haben nun also nur drei Wahlzettel vor sich liegen.

Hohe Ausgaben

Marie Jünemann ist im Vorstand des Vereins “Mehr Demokratie” und begrüßt die Ernennung von Bröchler und seine Arbeit bisher, doch sie sagt auch: “Eigentlich ist die viel größere Frage, warum politisch niemand Verantwortung übernimmt. Die Landeswahlleiterin ist zurückgetreten, aber für die, die damals politisch in der Verantwortung standen, zum Beispiel den Innensenator, gab es einfach keine Konsequenzen.”

Franziska Giffey bei der Wahl zur neuen Regierenden Bürgermeisterin

Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey hat viel Geld für die Wiederholungswahl bereitgestellt

Diesmal sollte Bröchler zumindest über genügend Ressourcen verfügen. Bürgermeisterin Giffey hat 39 Millionen Euro bereitgestellt, um eine pannenfreie Wahl zu gewährleisten. Sichergestellt wurde angeblich auch, dass jedes Wahllokal über ausreichend Personal verfügt. Anstelle von sieben bis neun Wahlhelfern wird es diesmal pro Wahllokal bis zu 14 Helfer geben.

Ihre Aufgabe ist es, die Identität der Wähler zu überprüfen, Wahlzettel auszuhändigen und sicherzustellen, dass diese in einem verschlossenen Umschlag in der versiegelten Wahlurne landen. Die Urne wird nach Wahlschluss um 18 Uhr geöffnet und die enthaltenen Wahlzettel werden dann von den Wahlhelfern im Wahllokal manuell gezählt. Auch für die Wahlhelfer hat die Stadt mehr Geld bereitgestellt. Anstelle der bisherigen Aufwandsentschädigung in Höhe von 60 Euro erhalten die Wahlhelfer jetzt 240 Euro sowie weitere 25 Euro, wenn sie an einer Schulung teilgenommen haben. “Ich habe das meinen Studenten an der Uni gesagt und die haben sich gleich kollektiv angemeldet”, erzählt Bröchler.

Weitere Pannen

Doch auch vor der neuen Wahl gab es organisatorische Pannen: Auf Anfang Januar gedruckten Hinweiszetteln wurde ein falsches Datum für die Wahl genannt. Einige Wochen später erhielten 49 Wähler, die Briefwahl beantragt hatten, ihre Wahlunterlagen doppelt zugestellt. Im Bezirk Neukölln wurde ein Kandidat der FDP auf 1700 Briefwahlzetteln aufgeführt, obwohl er seit 2021 nicht mehr in der Stadt gemeldet ist und sich hier nicht zur Wahl stellen kann. “Wir mussten bei über 4000 Kandidaten die Namen kontrollieren. Nach 18 Stunden, die die Mitarbeiter hier gearbeitet haben, ist es dann zu dem ärgerlichen Fehler gekommen”, berichtet Bröchler.

Der Wahlleiter setzt bei solchen Problemen auf Offenheit. “Ich gehe viel stärker an die Öffentlichkeit”, sagt er. “Um zu erklären, was wir machen, warum wir welche Entscheidungen treffen, dass wir offensiv sagen, wo Fehler aufgetreten sind.” Dieser Umgang mit Fehlern gibt Marie Jünnemann von “Mehr Demokratie” etwas Zuversicht. Sie hält Bröchler zugute, dass er maximal transparent sein will.

Stephan Bröchler mit Wahlzettel

Landeswahlleiter Stephan Bröchler hatte die OSZE als Wahlbeobachter eingeladen

Eine Entscheidung von Bröchler sorgte für besonders viele Schlagzeilen. Er beschloss, internationale Wahlbeobachter von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) einzuladen, seine bisherige Arbeit zu begutachten und zu entscheiden, ob am Wahltag ein Team nach Berlin entsendet werden sollte. Denn bei der Wahl 2021 sei “so viel falsch gelaufen und so viel Vertrauen verloren gegangen”, dass es gut gewesen wäre, eine “zusätzliche Qualitätskontrolle” einzuführen, zeigte er sich überzeugt.

Nach einem dreitägigen Besuch veröffentlichte die OSZE einen kurzen Bericht, in dem sie den Berliner Behörden ein “hohes Maß an Vertrauen” aussprach und ankündigte, keine Wahlbeobachter nach Berlin zu entsenden. “Für uns war das enttäuschend”, klagt Jünnemann. “Eine Wahlbeobachtung hätte geholfen, wirklich alle Zweifel zu zerstreuen.”

Unabhängig davon hat Bröchler versprochen, dass Beobachter des Europäischen Rates am Wahltag in Berlin dabei sein werden. Ein reibungsloser Ablauf der Wahlen mag wichtig sein, ebenso wichtig ist es jedoch mittlerweile, öffentliche Zweifel an der Wahl zu zerstreuen. Diesmal zumindest gibt es keinen internationalen Marathon, der dem im Wege stehen könnte.

Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.